Validation und Empathie in der Pflege von demenzkranken Menschen

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Lesedauer: 4 Minuten

In Deutschland sind gegenw�rtig rund 1,7 Millionen Menschen an Demenz erkrankt.�Laut Robert-Koch-Institut sind Demenzerkrankungen die h�ufigste Ursache f�r Pflegebed�rftigkeit. Rund zwei Drittel der Bewohner von Pflegeheimen sind demenzkrank. Dabei befinden sich die meisten Betroffenen im fortgeschrittenen Stadium der Krankheit.�In diesem Stadium sind an Demenz Erkrankte nicht mehr aus ihrer eigenen Wirklichkeit heraus zu holen. Ihrer Pflege bedarf ein hohes Ma� an psycho-sozialen Kompetenzen. Das Pflegepersonal muss in der Lage sein, sich in ihre Gedanken- und Gef�hlswelt hineinzuversetzen. Doch warum genau ist das so?

Demenz: Eine Krankheit, die Verst�ndnis erfordert

Die Wahrheit des Demenzkranken ist genauso real wie �unsere�. Aus diesem Grund f�hrt gutes Zureden und Argumentieren nicht immer zu einer L�sung, sondern kann noch mehr Unruhe und Verwirrung stiften. Wirkungsvoller ist es, sich als Gegen�ber auf die Welt des Erkrankten einzulassen. Dazu geh�rt Empathie, d.h. die F�higkeit, sich in die Lage des Gegen�bers hineinzuversetzen. Hierf�r empfiehlt sich ein Perspektivwechsel. Sich als Pflegender in das Leben von Betroffenen und ihren Angeh�rigen hineinzuversetzen, kann sehr aufschlussreich sein. So zeigt der Blick in eine Selbsthilfegruppe Erstaunliches.

Perspektivwechsel zum Ein�ben von Empathie

Die Besucherin einer Selbsthilfegruppe, deren demenzkranker Ehemann eine sog. Hinlauftendenz hatte, schilderte, dass sie den Tipp von einer anderen Dame bekam, die Haust�r mit einem wei�en Laken abzuh�ngen. Die T�r �verschmolz� so mit der umliegenden wei�en Wand. So war ihrem Ehemann der visuelle Reiz genommen, der die Hinlauftendenz ausl�ste. Das gab ihr und ihrem Ehemann erst einmal Ruhe. Diese Geschichte zeigt, wie wichtig Empathie im Umgang mit demenzkranken Menschen ist. Nat�rlich ist es Pflegenden in Einrichtungen nicht immer m�glich, derartige Ma�nahmen zu ergreifen. Dennoch kann diese Geste als Inspiration dienen, sich in die durcheinander geratene Gedankenwelt von demenzkranken Patienten einzuf�hlen. Empathie schafft nicht nur einen respektvollen Umgang mit Betroffenen, sondern ist ein effektiver Betreuungsansatz.

Der demenzkranke Gro�vater einer meiner Freundinnen lief jahrelang regelm��ig nachts im Nachthemd aus dem Haus auf die angrenzende Stra�e. Dies war eine viel befahrene Hauptstra�e. Er hoffte, seinen Bruder dort zu treffen, der aber schon vor langer Zeit im Krieg verstorben war. Die Gro�mutter meiner Freundin verlie� in der ganzen Zeit seiner Krankheit das Haus nicht mehr, in Sorge um das Leben ihres Ehemanns. H�tte sie diesen einfachen Trick der Empathie gewusst und mit einem Leintuch die Haust�r bedeckt � was h�tte sich in der Lebensqualit�t der beiden ver�ndert?

Verstehen, was im Ged�chtnis passiert

Dieselbe Frau, die beinahe ein Jahrzehnt ihren demenzkranken Ehemann pflegte, erkrankte nach seinem Tod selbst an Demenz. Im Endstadium ihrer Erkrankung lebte sie nur noch in den traumatischen Kriegserfahrungen ihrer Vergangenheit. Sie erinnerte sich genau an Geschichten, die ihrer Familie widerfahren waren, aber auf das Hier und Jetzt konnte sie nicht mehr zugreifen. Am Ende eines ausgesprochenen oder geh�rten Satzes hatte sie den Beginn schon wieder vergessen.

Je mehr die Leistungsf�higkeit des Kurzzeitged�chtnisses auf Grund der Demenzerkrankung zur�ckgeht, desto h�ufiger greift das Gehirn auf Erinnerungen aus dem Langzeitged�chtnis zur�ck. Der Wissenschaftler Dr. Jens Bruder spricht in diesem Zusammenhang vom �Demenz-Paradoxon�: Menschen vom Alzheimer-Typ nehmen ab einem gewissen Zeitpunkt nicht mehr wahr, dass ihre kognitiven F�higkeiten nachlassen. Entsprechend setzen sie sich nicht mehr mit den Konsequenzen ihrer Handlungen auseinander.

Validation: Das Einnehmen einer wertsch�tzenden Haltung

Vor diesem Hintergrund ist es in der Pflege umso wichtiger, die Realit�t der Betroffenen geduldig zu bejahen. Mittlerweile ist allgemein bekannt, wie bedeutsam das Thema der Validation ist. �Validieren� bedeutet das Einnehmen einer wertsch�tzenden Haltung in der Begleitung von Menschen mit Demenz. Sie basiert auf den Grundhaltungen der �klientenzentrierten Gespr�chsf�hrung� nach Carl Rogers (amerikanischer Psychologe und Psychotherapeut). Rogers entwickelte eine nicht korrigierende, verst�ndnisvolle und spiegelnde Sprache. Seine Kommunikationsform wurde von Naomi Feil (amerikanische Sozialarbeiterin) weiterentwickelt. Laut Feil sind desorientierte alte Menschen damit besch�ftigt, �unerledigte Aufgaben� ihres Leben aufzuarbeiten und es gilt sie darin zu unterst�tzen. Nicole Richard (deutsche Psychogerontologin) entwickelte diesen Ansatz weiter zu der �Integrativen Validation� (IVA), in der die Annahme der aktuellen Bed�rfnisse der Demenzkranken im Mittelpunkt steht. Denn je verstandener sich die betroffenen Menschen f�hlen, desto ruhiger werden sie. Allen drei Methoden ist gemeinsam, dass der Mensch akzeptiert wird, wie er ist. Validation schenkt an Demenz Erkrankten Entlastung, wenn Heilung schon nicht m�glich ist.

Wenn etwa ein Erkrankter von seiner l�ngst verstorbenen Frau spricht – zum Beispiel, dass er sie abholen m�sse – ist es ratsam, nicht darauf hinzuweisen, dass sie in Wahrheit tot ist. Oder wenn er sich nachts mehrmals anzieht und zur Arbeit gehen will, ist es besser nicht abrupt zu sagen, dass er sich in einem Pflegeheim befindet, schon seit Jahren in Rente ist, dass es mitten in der Nacht ist und dass er es nun schon zum dritten Mal in dieser Nacht macht. Es ist wichtig, den Betroffenen behutsam abzulenken ohne seine Wahrheit zu zerst�ren. Tats�chlich kann es leicht funktionieren, den Erkrankten positiv und mit Freude auf andere Gedanken zu bringen, da die Erinnerung von dementen Patienten nicht sehr hartn�ckig ist.

Biografiearbeit schafft Zugang

Grundlage f�r beide Haltungen, Empathie und Validation, ist die Biografiearbeit. Durch Gespr�che wird festgehalten, welche Vorlieben, Gewohnheiten, Eigenheiten und� Verhaltensmuster der Erkrankte hat. Was hat den Patienten fr�her bewegt und was hat ihm Freude bereitet? Welchen Beruf hat der Mensch ausge�bt? Was hat er gerne in seiner Freizeit getan? Diese pers�nlichen Informationen k�nnen durch das Pflegepersonal dokumentiert werden. Auf diese Weise k�nnen Verhaltensweisen der Erkrankten besser verstanden werden. In der Biografiearbeit kann es hilfreich sein, den Patienten als �tragischen Helden� zu sehen, der jetzt gut umsorgt wird. In seinem damaligen Leben hat er eine Rolle gespielt, jetzt spielt er eine andere.

Biografiearbeit ist neben Ged�chtnistraining und Validation eine nicht-medikament�se Therapieform, die Ankn�pfungspunkte f�r Gespr�che oder Aktivit�ten im Rahmen der Betreuung herstellen. Dazu geh�ren auch das Anschauen von Fotos und das Vorlesen von Geschichten. Erinnerungsarbeit kann mit dem Erz�hlen von Reimen oder dem Singen von Liedern stattfinden. Die basale Stimulation spielt eine gro�e Rolle. Sie dient dem Wohlbefinden des Patienten und kann anregend oder entspannend sein. Sie dient der Kontaktaufnahme und der Kommunikation.

Fazit: Was es f�r eine w�rdevolle und gelungene Pflege braucht

Demenz ist eine enorm herausfordernde Volkskrankheit, f�r die es bisher noch keine Heilung gibt. Die Erkrankung stellt f�r Betroffene, Angeh�rige und Pflegende eine gro�e Belastung dar. Ein Gro�teil der alten Menschen in Pflegeeinrichtungen leidet unter Demenz. In Erg�nzung zur medikament�sen Behandlung kann eine w�rdevolle Pflege � die wir uns alle f�r uns selbst und andere Menschen w�nschen � nur mit den Grundhaltungen von Akzeptanz und Geduld, Empathie und Validation gelingen.

Anmerkung und Dank

In diesen Artikel flie�en Erfahrungsberichte pflegender Angeh�riger mit ein. Mein Dank gilt Christina Ney und Lisa Sintermann.


Bildnachweis: Robert Kneschke – stock.adobe.com

ist Autorin und Bloggerin, Master of Creative and Biographical Writing, Kunst- und Kreativit�tstherapeutin. Sie ist auf Initiative von Prof. Dr. Jalid Sehouli mit Schreibprogrammen zur Gesundheit an der Frauenklinik der Charit� aktiv. Ihr Buch "Mit Schreiben zu neuer Lebenskraft" ist beim K�sel-Verlag erschienen. Dar�ber hinaus ber�t sie Kliniken, Rehas und andere Organisationen, wie sie das Schreiben als wirksames Instrument zur Gesundheitsf�rderung einsetzen k�nnen. An der Psychiatrie der Charit� erh�lt sie die F�rderung des Gesundheitsfonds f�r ein Konzept zur Entlastung und St�rkung von Mitarbeitern in der Pflege. In der Vorstandsarbeit der Europ�ischen K�nstlergilde f�r Medizin und Kultur setzt sie sich f�r eine ganzheitliche Medizin ein.
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