Das Internet ist eine der Technologien, die unser Leben tiefgreifend verändert haben. Vielleicht erinnern Sie sich noch an dicke Telefonbücher, auf dem Schoß ausgebreitete Straßenkarten oder die stets aktuelle Sammlung von Versandhaus-Katalogen. All diese Informationen sind heute selbstverständlich digital und meist online verfügbar, für Menschen wie für Maschinen lesbar. Eine Personengruppe, die von dieser noch andauernden digitalen Transformation entscheidend profitieren kann, sind die über 7.9 Millionen Menschen mit Behinderungen in Deutschland.
Ich bin sehbehindert und hatte früh Kontakt zu anderen sehbehinderten und blinden Kindern. Zusammen besuchten wir regelmäßig mehrtägige Seminare, in denen wir lernten, mit den Schwierigkeiten des Alltags zurechtzukommen, die so eine Beeinträchtigung mit sich bringt.
Auf einem dieser Seminare sah ich einem Mädchen beim Lesen auf einem Bildschirm-Lesegerät zu. Dieser analoge Apparat konnte die kleinen Buchstaben eines Textes bildschirmfüllend darstellen (und es war ein sehr großer Bildschirm). Die junge Leserin beugte sich vor und drückte ihr „gutes“ (sehfähiges) Auge beinahe an das Glas. Dann zog sie den Text ausgesprochen langsam von rechts nach links, so dass jeder Buchstabe entziffert und daraus ein Wort gebildet werden konnte. Schon als kleiner Junge war ich schockiert, dass mit dem Lesen einer Textzeile so eine Mühsal verbunden sein konnte.
Die blinden Kinder lasen in Braille. Das ging schneller, doch war damals schon die Verfügbarkeit von Büchern, Zeitschriften und Zeitungen in Blindenschrift stark eingeschränkt. Daran hat sich bis heute nur wenig geändert. Aktuell leben 1,2 Millionen blinde Menschen in Deutschland, die nur auf 5% der Literatur zurückgreifen können, weil nur ein Bruchteil in Braille vorhanden ist.
Das digitale Zeitalter mit dem Internet hat nicht nur den Zugang zu Medien fundamental verändert. Menschen können immer öfter auch online oder mit digitalen Angeboten selbstbestimmt am gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Leben teilhaben. So müssen motorisch eingeschränkte Menschen heute weniger oft das Haus verlassen, um Amtsgänge zu erledigen oder einzukaufen. Stark hörgeschädigte Menschen können auf teilweise automatisch generierte Untertitel oder Transkripte zurückgreifen, um gesprochene Informationen wahrnehmen zu können.
Zudem ermöglicht das Web mit seiner offenen und flexiblen Architektur die digitale Barrierefreiheit durch Hilfsmittel – zum Beispiel Screen-Reader. Das sind Programme, die mit einer synthetischen Stimme Dokumente, Webseiten oder auch E-Learning-Kurse vorlesen und die über die Tastatur gesteuert werden können.
Ein weiteres verbreitetes Hilfsmittel für blinde Menschen ist die Braillezeile, die Texte auf dem Bildschirm in Blindenschrift ertastbar machen kann.
Gesetzliche Verpflichtung zu barrierefreien digitalen Schulungen
Für öffentliche Einrichtungen gilt bereits seit Längerem, dass ihre Internetauftritte barrierefrei sein müssen. Mit der Novellierung des Gesetz zur Gleichstellung von Menschen mit Behinderungen (BGG) gilt dies nun auch für Intranet- und mobile Anwendungen sowie Dokumente. Der Anwendungsbereich wurde zudem auf öffentliche Stellen des Bundes erweitert, darunter fallen auch öffentliche Gesundheitseinrichtungen. In der Verordnung zur Schaffung barrierefreier Informationstechnik nach dem Behindertengleichstellungsgesetz (BITV 2.0) wird vermutet, dass Webinhalte barrierefrei sind, wenn sie etwa Normen entsprechen, die im Amtsblatt der Europäischen Union erwähnt worden sind (§ 3 Abs. 1f). Über diesen Umweg wird auf die aktuelle Version der Web Content Accessibility Guidelines (WCAG) verwiesen. Dabei handelt es sich um einen internationalen Standard, der konkrete Richtlinien für digitale Barrierefreiheit in Webinhalten definiert (deutsche Übersetzung der WCAG 2.0 sowie die aktuelle Fassung der WCAG 2.1 in Englisch).
Was ist Barrierefreiheit?
Früher wurden vor allem Begriffe wie „behindertengerecht“ oder „behindertenfreundlich“ verwendet, um Anlagen zu beschreiben, die den gesetzlichen Anforderungen an die Barrierefreiheit gerecht wurden. Damit verbunden war die stillschweigende Annahme, dass die Bringschuld bei den Menschen mit Behinderungen liegt, sich durch Training und Hilfsmittel den Gegebenheiten anzupassen. Inzwischen setzt sich jedoch mehr und mehr die Auffassung durch, dass Barrieren vor allem gesellschaftlichen Ursprungs sind und durch die meist unwissende Missachtung der Bedürfnisse von Minderheiten entstehen.
Nicht gesamtgesellschaftlich erlebte Barrieren scheinen für einen Teil der Bevölkerung unsichtbar zu sein. So wundert es kaum, dass vermeidbare Hindernisse meist durch nicht selbst betroffene Mitmenschen errichtet und gepflegt werden. Das Prinzip des „Universal Design“ sieht vor, Anlagen von vornherein so zu planen, dass sie von möglichst allen Teilen der Gesellschaft ohne Barrieren genutzt werden können. Statt nachträglich eine Rollstuhlrampe errichten zu lassen, könnte dies bedeuten, den Eingang in ein Gebäude von vornherein ebenerdig zu errichten.
An wen richten sich digitale barrierefreie Angebote?
Behinderungen sind vielfältig und damit auch die Barrieren, die mit ihnen verbunden sind. Es liegt in der Natur einer Behinderung, dass nicht alle Barrieren überwunden werden können. Andere Hindernisse können nur mit der Hilfe der betroffenen Person und unter Umständen des Arbeitgebers beseitigt oder kompensiert werden. So müssen wir davon ausgehen, dass die Person alle Hilfsmittel hat, die sie braucht. Das kann ein größerer Bildschirm, ein spezielles Eingabegerät oder einfach nur der richtige Webbrowser sein.
Gemäß einer veröffentlichten Statistik der Bundesagentur für Arbeit waren 2017 im Gesundheitswesen ca. 76.000 Menschen mit Behinderungen beschäftigt. Mit Hilfe der WCAG hat Relias die Gruppen identifiziert, die bei digitalen Lernangeboten besonders von Unterstützung profitieren können. Das sind vor allem Menschen mit Seh- und Gehörschwächen, motorischen Einschränkungen, Lernstörungen sowie Lernschwierigkeiten.
Unser Ziel bei Relias ist, dass unsere E-Learning-Kurse für alle wahrnehmbar, bedienbar und verständlich gestaltet werden – auch für Menschen mit Behinderungen. Folglich haben wir Maßnahmen ergriffen, um auch für die identifizierten Gruppen ein barrierearmes digitales Lernerlebnis anbieten zu können.
Menschen mit Sehbehinderungen
Unter einer Sehbehinderung versteht man eine Sehschwäche, die nicht vollständig durch eine Sehhilfe ausgeglichen werden kann, Blindheit sowie Farbfehlsichtigkeit. Auch „technische“, also durch das verwendete Gerät bedingte Behinderungen sind denkbar, etwa durch zu kleine Bildschirme oder unglücklich einfallendes Sonnenlicht.
Wir bei Relias haben daher Standards für Mindestschriftgrößen und Farbkontraste definiert, die bereits in neue Kurse einfließen und nicht nur Menschen mit einer Sehbehinderung das Lernen erleichtern werden.
Hohe Farbkontraste helfen nicht nur farbfehlsichtigen Menschen. Bei Lernenden mit einer starken Sehbehinderung leidet die Kontrastwahrnehmung, so dass Schrift und Hintergrund bei abnehmendem Farbkontrast zunehmend miteinander verschmelzen.
Auch dürfen Informationen nicht ausschließlich farbkodiert vermittelt werden. In unseren Kursen verwenden wir zusätzlich Text und Symbole, um farbfehlsichtige Lernende nicht zu benachteiligen.
Relias-Kurse unterstützen Screen-Reader und Braillezeilen. Dazu werden grafische Inhalte, wo sinnvoll, mit einer Beschreibung versehen, die statt der Grafik von Screen-Reader oder Braillezeile wiedergegeben werden kann. Didaktisch irrelevante Informationen wiederum werden durch spezielle Kennzeichnungen vor diesen Geräten soweit wie möglich verborgen.
Sehen Sie sich eine kurze Screen-Reader-Demo im Video an (die Vorlesegeschwindigkeit lässt sich im Screen-Reader anpassen):
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Diese Maßnahmen sind eine wesentliche Unterstützung, denn unser Auge ist das einzige Sinnesorgan, das einen „Breitbandzugang“ zur Außenwelt hat und viele Informationen gleichzeitig wahrnehmen kann. Ein Bild sagt sprichwörtlich mehr als tausend Worte und auch Relias-Kurse werden so gestaltet, dass Lernende mit einem Blick erfassen können, welche Inhalte wichtig und welche weniger wichtig sind. Unsere Hör- und Tastsinne können das nicht leisten. So bedarf es einer durchdachten Gestaltung des Lehrmaterials, um Menschen mit Sehbehinderungen ein erfolgreiches digitales Lernerlebnis bieten zu können, das ihnen gerecht wird.
Menschen mit Hörbehinderungen
Etwa ein Fünftel unserer Bevölkerung ist von einer Hörbeeinträchtigung betroffen. Das können Hörschwächen sein, die nicht durch ein Hörgerät ausgeglichen werden können, bis hin zur vollständigen Gehörlosigkeit. Für diese Personengruppe hat Relias eine weitere Lösung entwickelt. Über die Schaltfläche „Sprechertext“ kann der gesprochene Text einer Folie jederzeit nachgelesen werden. Eingebundene Videos, in denen gesprochen wird, werden zudem mit Untertiteln versehen, sodass Menschen mit Hörbeeinträchtigung ab sofort ohne Probleme die gleichen Chancen haben, unsere barrierefreien digitalen Kurse zu durchlaufen und erfolgreich abzuschließen.
Menschen mit motorischen Behinderungen
Motorische Beeinträchtigungen haben vielfältige Ursachen, die beispielsweise durch Paraplegie, Gicht, Zerebralparese, Multiple Sklerose, Muskeldystrophie oder rheumatische Erkrankungen auftreten können. In Deutschland leiden allein vier Millionen Menschen an Rheuma in den Händen. Die Folgen sind Schmerzen und Einschränkungen in der Beweglichkeit.
Abhängig vom Krankheitsbild ist die Bedienung über die Maus manchmal schwer möglich, da zur präzisen Bedienung feinmotorische Fähigkeiten erforderlich sind. Unsere neuen und revisionierten Kurse, die seit März 2020 entwickelt wurden, sind deshalb vollständig mit der Tastatur bedienbar. Zudem unterstützen wir einen barrierefreien Modus, in dem komplex zu bedienende Interaktionen durch Alternativen ersetzt werden.
Menschen mit Lernstörungen und -schwierigkeiten
Zu den Lernstörungen zählen unter anderem Legasthenie (auch Dyslexie, Lese-Rechtschreibschwäche) und Dyskalkulie (Rechenschwäche).
Menschen mit Legasthenie sind visuell-räumlich veranlagte Menschen. Sie können daher stark von multimedialen Inhalten profitieren, in denen Diagramme, Symbole, Fotos und Videos verwendet werden. Die Darstellung von Text spielt zudem eine wichtige Rolle. Wir achten auf erhöhte Zeilenabstände, eine gut lesbare Schriftart und vermeiden längere Kursivtexte. Über die Sprechertext-Funktion lässt sich die Schriftgröße weiter anpassen, was nicht nur Menschen mit Legasthenie das Lesen erleichtern kann.
Auch Menschen mit Lernschwierigkeiten profitieren von unseren Kursen. So erleichtern die multimedialen Inhalte das Lernen. Lerninhalte werden so gestaltet, dass sie mit den kognitiven Ressourcen aller Lernenden schonend umgehen, was gerade für diese Personengruppe von hoher Bedeutung ist
Zudem achten wir schon seit jeher auf ein angemessenes Sprachniveau, sodass die Lernenden nicht überfordert werden und Spaß an den Kursen haben. Unnötig schwere Sprache nützt bekanntlich niemandem.
Nutzen von digitaler Barrierefreiheit auch für Menschen ohne Einschränkungen
Wir sind stolz darauf, dass aktuelle Relias E-Learning-Kurse barrierearm sind und, ob mit oder ohne Behinderung, von den meisten Menschen ohne Schwierigkeiten absolviert werden können.
Behinderungen müssen nicht immer gravierend sein, um Nutzer*innen das Lernerlebnis zu erschweren. Manche Menschen bevorzugen die Tastaturbedienung, weil sie schneller und präziser ist, andere verwenden einen stark spiegelnden Bildschirm und nehmen Verbesserungen wie höhere Kontraste und größere Schrift daher dankbar an.
Zudem sollte auch der demografische Wandel nicht vergessen werden. Menschen werden nur sehr selten mit Behinderungen geboren, in 96 % der Fälle wird eine Behinderung im Laufe des Lebens erworben, überwiegend durch Krankheiten. Für Arbeitnehmer*innen, die im höheren Alter noch berufstätig sind, kann die digitale Barrierefreiheit unserer Kurse eine große Erleichterung sein.
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