Die fortschreitende Alterung der Bevölkerung und die zunehmende Zahl pflegebedürftiger Menschen ohne engen Familienverbund prägen die hohe Nachfrage nach ambulanter und stationärer Pflege. Der Pflegemarkt ist im Aufbruch. Neue Versorgungskonzepte nehmen Fahrt auf.
Welche Chancen und Risiken gibt es für die ambulante und stationäre Pflege?
Der Pflegebedarf
Die Zahl der Pflegebedürftigen wird je nach Szenario und Modellrechnung weiter stark ansteigen und damit der Mehrbedarf an Pflegepersonal. Mit dem neu gefassten Pflegebedürftigkeitsbegriff (2017) stieg die Zahl der Leistungsberechtigten aus der Pflegeversicherung bereits sprunghaft an.
2019 gab es laut Bundesministerium für Gesundheit (BMG) rund vier Millionen Pflegebedürftige.
Rechnerisch erwartet das BMG rund 4,6 Millionen bis 2030 und für 2050 knapp sechs Millionen Leistungsberechtige, die möglicherweise eine Pflege in Anspruch nehmen werden.
Die Pflegekräfte: Der Arbeitsmarkt
Rund 1,6 Millionen Pflegekräfte, davon 583.000 in der Altenpflege, waren 2018 erwerbstätig. Die meisten von ihnen sind weiblich. Teilzeitarbeit und geringfügige Beschäftigungen sind weit verbreitet.
In den Altersgruppen ab 35 Jahren arbeitet mehr als die Hälfte der Frauen in der Kranken- und Altenpflege Teilzeit. Und auch die männlichen Kollegen arbeiten mehr in Teilzeit als der Durchschnitt aller männlichen Beschäftigten. In der Altenpflege arbeiten Männer ab 40 Jahren sogar zu 38 Prozent in Teilzeit, so der TK Gesundheitsreport 2019. Dies schafft Versorgungslücken. Die Statistiker rechnen mit 1,3 Millionen diensthabenden Vollzeitkräften, auf der die Bedarfsplanung fußt. Neben der Arbeitszeitgröße spielt auch die Qualifikation eine große Rolle: So arbeiten von den 583.000 Altenpflegepersonen nur ca. 310.000 als Fachkräfte, die anderen sind Altenpflegehelfer.
Die Altersstruktur der pflegenden Arbeitskräfte zeigt großen Handlungsbedarf für die Rekrutierung neuer Pflegekräfte, denn die demographischen Faktoren betreffen auch diese Berufsgruppe und verschärfen den Fachkräftemangel im Pflegebereich: Jeder Zehnte ist älter als 60 Jahre, ca. 30 Prozent sind zwischen 50 und 60 Jahre alt und viele gehen vor dem gesetzlichen Renteneintrittsalter in Rente, dokumentiert der Branchenreport Pflege der Deutschen Apotheker- und Ärztebank 2019.
Der Pflegemarkt und die Versorgungslücke: Fachkräftemangel
Die Lücke klafft weit: Das Institut der deutschen Wirtschaft prognostiziert z.B., dass für die deutsche stationäre Versorgung bis 2035 rund 300.000 Pflegekräfte fehlen. Die Versorgungslücke im Pflegebereich insgesamt könnte sich 2020 auf insgesamt 500.000 Fachkräfte vergrößert haben. Diese Zahlen basieren auf Berechnungen des Statistischen Bundesamtes zur Entwicklung der Pflegebedürftigkeit in Deutschland.
In der Altenpflege fehlen bundesweit besonders examinierte Fachkräfte und Spezialisten. Dagegen gibt es derzeit genügend Altenpflegehelfer.
Wie geht es den Pflegekräften?
Die belastenden Arbeitsbedingungen und die Unzufriedenheit mit der Bezahlung führten bislang dazu, dass viele Pflegekräfte in Teilzeit arbeiten. Dass der Pflegeberuf krank machen kann, zeigt der TK Gesundheitsreport 2019: Deutschlands Kranken- und Altenpfleger sind öfter und länger krank als Menschen in anderen Berufen. Rund 23 Tage krankheitsbedingter Arbeitsausfälle stehen fünfzehn Krankheitstagen in der Vergleichsgruppe aller Beschäftigten gegenüber. Von 2000 – 2018 stiegen die Fehlzeiten der Krankenpflegekräfte um 29 Prozent. Die Psyche ist beim Pflegepersonal besonders betroffen. Bei den Frauen kommen neben den psychischen Beschwerden auch noch hohe Fehlzeiten durch orthopädische Erkrankungen durch die körperlichen Belastungen hinzu.
Wo wird in Deutschland gepflegt?
Die Hälfte aller Pflegebedürftigen wird zu Hause von Angehörigen gepflegt. Laut Statistik wurden Ende 2019 über zwei Millionen Menschen mit Pflegegrad zwei bis fünf allein durch Angehörige versorgt. Die andere Hälfte wird laut Statistischem Bundesamt in den 15.400 stationären Pflegeheimen und durch 14.700 Pflegedienste versorgt. Bei zunehmendem Pflegegrad übernehmen ambulante Pflegedienste zumindest einen Teil der Pflege, dies bei rund einer Million Pflegebedürftigen. Mit zunehmenden Alter und der damit verbundenen höheren Pflegebedürftigkeit, werden immer mehr alte Menschen in stationären Einrichtungen gepflegt.
Pflegemarkt: Chancen und Trends – Ambulant vor stationär
Unternehmensberater und Investoren haben den Gesundheitsmarkt in Deutschland und Europa längst beziffert. Die Apotheker- und Ärztebank und andere Player sehen das Marktwachstum im ambulanten und teilstationären Sektor. Das zeigen 2019 die durchschnittlich 95 Neugründungen pro Monat (davon 48 Pflegedienste). Die Tagespflege ist der wachstumsstärkste Bereich (mehr als ein Drittel der Neugründungen, über 350 Bauprojekte 2018). Auch Betreutes Wohnen etabliert sich allmählich zu einer wichtigen Säule auf dem Pflegemarkt im stationären und ambulanten Bereich. Die ambulante Versorgung in Wohngemeinschaften für Demenzerkrankte nimmt derzeit kräftig zu, und auch Wohngruppen rücken in den Fokus.
Ein Strategiewechsel zeigt sich im Entstehen neuer Pflegestandorte: Fast die Hälfte bieten eine kombinierte Versorgung aus betreutem Wohnen und Tagespflege an. Die Versorgungsformen werden zusammenwachsen.
Der Pflegemarkt: Chancen und Hürden
Das durchschnittliche jährliche Wachstum bei ambulanten Pflegediensten betrug 5,7 Prozent in den letzten 25 Jahren. Da strukturelle Verschiebungen zugunsten ambulanter Pflege erkennbar sind, gibt es mehr Bewegung in diesen Bereich hinein. Jene Unternehmen, die Zukunftsstrategien erarbeiten, sich betriebswirtschaftlich gesund aufstellen und anpassungsfähig bleiben, werden laut Apotheker- und Ärztebank erfolgreich sein.
Derzeit bestimmen die privatwirtschaftlichen Träger (49 Prozent) und die freien gemeinnützigen Träger (48 Prozent) den stationären Pflegesektor. Hier gibt es den Trend zu Heimketten und hochpreisigen Seniorenresidenzen.
Die Deutsche Apotheker und Ärztebank sieht gute unternehmerische Chancen auf dem Pflegemarkt.
Die Chancen:
- Der Markt wächst – hohes Marktpotential
- Potentiale von Kostensenkungen anpeilen: Integrierte Angebote, Verbund, Kooperationen
- Ambulante Pflegeleistung: geringer Kostendruck, seit PSG II höhere Budgets aus Pflegeversicherung
- Spezialisierungen stationärer Pflegeheime auf die Pflege von an Demenz Erkrankten
- Hoher Modernisierungs- und Neubaubedarf
- Digitale Lösungen nutzen
Die wichtigsten Risiken:
- Der zunehmende Fachkräftemangel führt zu steigenden Personalkosten
- In der Regulierung drohen Kostensenkungen vom Gesetzgeber (PSG II) –> staatliche und landesrechtliche Eingriffe
- Verdrängungswettbewerb, wenn der Markt weiter wächst
- Die Pflege bei immer mehr Pflegebedürftigen muss gesellschaftlich finanzierbar bleiben
Potentiale nutzen
Die Digitalisierung vorantreiben und für die IT Sicherheit sorgen, das sind die Themen Nummer eins in der E-Health Branche, und das gilt auch für den Pflegemarkt. Hier wird über die Finanzierung nachgedacht. In Deutschland gibt es dazu zahlreiche Fördertöpfe, die Digitalisierungsprozesse fördern.
Die mangelnde digitale Kompetenz der Mitarbeitenden sind Hindernisse, die durch Weiterbildung überwunden werden können. Auch besteht im europäischen Vergleich in Deutschland großer Aufholbedarf im Austausch von Gesundheitsdaten, wie McKinsey 2019 analysiert hat.
Der Blick ins Ausland lohnt: International sind Plattformmodelle in der Gesundheitsversorgung sehr erfolgreich. Ambulante Dienstleister müssen sich fragen, auf welche Plattformen sie ihr Geschäftsmodell ausweiten wollen. Gute Beispiele gibt es in der Pharmaindustrie, bei Startups und Tech-Unternehmen. In Mexiko bringt eine Versicherung bereits heute 22.000 Versorgungsanbieter mit 25.000 Patienten in einer Plattform zusammen. In Saudi- Arabien ist dies schon Teil des Gesundheitssystems.
Die deutschen Teilnehmer auf dem Pflegemarkt müssen ihre Strategie neu fassen, um hier Schritt halten zu können.
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