Expertenstandard Mundgesundheit: So setzen Pflegefachpersonen Screening, Assessment und Maßnahmen alltagstauglich um

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Lesedauer: 4 Minuten

Mundgesundheit ist ein wichtiger Faktor in der Pflege, der zu Lebensqualität, Ernährung, Kommunikation und sozialer Teilhabe beiträgt. Außerdem hat die WHO hat 2024 ihre globale Strategie und den Umsetzungsplan für orale Gesundheit bekräftigt und messbare Ziele bis 2030 formuliert. „Es gibt keine Gesundheit ohne Mundgesundheit“ (WHO, 2024b).  Damit rückt die Mundpflege in allen Versorgungskontexten stärker in den Fokus. Der DNQP-Expertenstandard „Förderung der Mundgesundheit“ gibt Pflegefachpersonal dafür klare Empfehlungen. Diese reichen von der ersten Einschätzung über die Maßnahmenplanung bis hin zur Evaluation.

Was Pflegefachpersonen heute Wissen sollten

Der Expertenstandard Mundgesundheit weist darauf hin, dass ältere, pflegebedürftige Menschen besonders häufig unbehandelte orale Erkrankungen, Mundtrockenheit, Schmerzen und Probleme mit Zahnersatz haben. Zugleich berichten professionell Pflegende über strukturelle Hürden. Dazu zählen fehlende Zeit, unklare Zuständigkeiten, mangelnde Schulungen und geringe Kooperation mit Zahnmediziner*innen. Beides kann die Mundgesundheit und das Wohlbefinden der Betroffenen verschlechtern. Pflegefachpersonen tragen im Rahmen des Pflegeprozesses eine zentrale Verantwortung für die Förderung der Mundgesundheit. Sie erkennen frühzeitig, ob ein pflegerischer Unterstützungsbedarf besteht, planen gemeinsam mit den Betroffenen und deren Angehörigen geeignete Maßnahmen und unterstützen bei der korrekten Durchführung der Mundpflege. Wenn die Selbstständigkeit nicht mehr gegeben ist, übernehmen sie diese Aufgabe vollständig. Ebenso wichtig ist die Kompetenz zu entscheiden, wann eine zahnärztliche oder interdisziplinäre Mitbehandlung erforderlich ist. Nicht alle Probleme im Mundbereich können pflegerisch behoben werden, weshalb eine gute Abstimmung zwischen den beteiligten Berufsgruppen wesentlich für die Versorgungsqualität ist.

Für den Pflegealltag bedeutet dies: Screening und ein ggf. weiterführendes Assessment gehören in jeden Pflegeprozess. Maßnahmenpläne sollten gemeinsam mit der Person erstellt, und die Umsetzung regelmäßig überprüft werden.

Vom Screening zum Assessment: praxisnah und respektvoll

Im ersten Schritt erfolgt das Screening, idealerweise bei der Pflegeanamnese. Es erfasst beobachtbare Auffälligkeiten und geäußerte Beschwerden, ohne invasive Inspektion. Wurden Risiken oder Symptome identifiziert, folgt das Assessment. Dabei inspizieren Pflegefachpersonen Lippen, Schleimhaut, Zunge, Zahnfleisch, Zähne und Zahnersatz und befragen gezielt zum oralen Befinden.

Typische Befunde, die ein Assessment auslösen sollten, sind wiederholter Mundgeruch, Kau- und Schluckprobleme, sichtbare Beläge, entzündetes Zahnfleisch, schlechtsitzender Zahnersatz oder ungewollter Gewichtsverlust. Alle Ergebnisse müssen dokumentiert und für das Team zugänglich sein. Wiederholungsintervalle für die Evaluation und das Screening richten sich nach dem individuellen Risiko. Außerdem sollte frühzeitig zahnmedizinische Expertise eingebunden werden, falls benötigt. Dieses Vorgehen entspricht sowohl dem Expertenstandard Mundgesundheit als auch den aktuellen WHO-Leitlinien zur Qualitätssicherung.

Screening und Assessment im Vergleich

MaßnahmeScreeningAssessment
ZeitpunktAufnahme, anlassbezogen, nach individuell festgelegtem IntervallBei auffälligem Screening oder Beschwerden, nach individuell festgelegtem Intervall
ZielRisiken erkennen und Gespräch anstoßenMundgesundheit detailliert beurteilen
MethodeBeobachtung, Gespräch, DokumentationInspektion mit Licht/Spatel, Befragung, Dokumentation
ErgebnisEntscheidung „Assessment ja/nein“Grundlage für Ziele, Maßnahmen, Überweisungen

Maßnahmenplanung im Expertenstandard Mundgesundheit: gemeinsam, realistisch, interdisziplinär

Eine gute Maßnahmenplanung startet mit klaren, gemeinsam vereinbarten Zielen. Sie beschreibt, wer welche Intervention wann und wie oft durchführt. Besonderheiten wie abwehrendes Verhalten, Aspirationsrisiko, Xerostomie (Mundtrockenheit) oder Zahnersatz müssen berücksichtigt werden. Pflegefachpersonen koordinieren zudem die Schnittstellen. Sie erkennen, welche Aufgaben im Pflegealltag verbleiben und wo die Expertise von Zahnmediziner*innen, Logopäd*innen oder Ernährungsberater*innen erforderlich ist. Eine systematische Kooperation ist der entscheidende Schlüssel, um Mundgesundheit in Einrichtungen nachhaltig zu fördern.

Praxisnaher Tipp: Formulieren Sie Ziele patient*innennah und messbar. „Schmerzfreies Kauen weicher Kost innerhalb von 14 Tagen“ ist hilfreicher als „Mundgesundheit verbessern“. So steigt die Akzeptanz, und die Evaluation wird nachvollziehbar.

Umsetzung: sichere Routinen, passende Hilfsmittel, wirksame Techniken

Für die tägliche Mundpflege zählt Konsistenz. Zweimal täglich Zähneputzen mit fluoridhaltiger Zahnpasta, Interdentalreinigung, Pflege von Schleimhaut und Lippen sowie gegebenenfalls eine konsequente Prothesenhygiene bilden die Basis. Bei herausnehmbarem Zahnersatz gilt, dass er nach jeder Mahlzeit abgespült, einmal täglich gründlich gereinigt, von Haftcremeresten befreit, regelmäßig auf Kanten oder Brüche geprüft und zur Nacht in einer offenen Dose trocken gelagert werden sollte.

Gerade bei kognitiven oder motorischen Einschränkungen helfen angepasste Hilfsmittel. Dazu zählen Dreikopfzahnbürsten oder Griffverdickungen. Um die Akzeptanz für die Pflegemaßnahmen zu erhöhen, kann es helfen, die Pflege durch Rituale und (nonverbale) Kommunikation vorhersehbar zu gestalten.

Merkliste für die Praxis

  • Routinen schaffen: Mundpflege in die gewohnte Körperpflege integrieren.
  • Ressourcen stärken: Klären, was die Person selbst übernehmen kann.
  • Hilfsmittel bereitstellen: Zahnbürsten, Interdentalbürsten, Prothesenbürsten und Lippenpflege.
  • Sicherheit beachten: Ergonomische Positionierung, Minimierung des Aspirationsrisikos und Einhaltung hygienischer Standards.
  • Dokumentieren und teilen: Beobachtungen, Produkte, Wechselintervalle und Reaktionen müssen teamweit zugänglich sein.

Abwehrendes Verhalten: deeskalierend handeln

Wenn Menschen den Mund nicht öffnen oder Hände wegstoßen, steckt oft Schmerz, Angst oder Überforderung dahinter. Hilfreich ist eine ruhige Umgebung. Auch eine klare Ansprache ohne „Wir-Form“, positive Verstärkung, Vormachen vor dem Spiegel und kleine, vorhersehbare Schritte tragen zum Erfolg bei.

Wer Umgebungsreize reduziert, aktiv zuhört und Wahlmöglichkeiten bietet, kann eher Kooperation und bessere Ergebnisse erzielen.

Evaluation: messen, was wirkt

Evaluation ist ein fester Bestandteil des Pflegeprozesses. Im Expertenstandard Mundgesundheit wird betont, dass die Evaluation immer individuell erfolgen sollte. Sie beantwortet drei Fragen: Waren die Maßnahmen angemessen? Haben sie gewirkt? Werden sie akzeptiert? Der zeitliche Abstand richtet sich nach Risiko und Schweregrad. Neben der Mundinspektion gehören Selbsteinschätzung, Befindlichkeitsfragen und die Prüfung von Hilfsmitteln dazu. Werden die Ziele nicht erreicht, müssen diese angepasst werden. Externe Expertise kann hierbei notwendig sein. Dieses Vorgehen entspricht den WHO-Empfehlung, Fortschritte datenbasiert zu steuern (WHO, 2024b).

Wie kann Relias Ihnen dabei helfen, die Mundgesundheit professionell zu fördern?

Der Kurs Expertenstandard – Förderung der Mundgesundheit vermittelt Pflegefachpersonen das notwendige Wissen, um den Expertenstandard sicher in der Praxis umzusetzen. Nach Abschluss können Teilnehmende die Mundgesundheit von Menschen mit Pflegebedarf fachgerecht einschätzen, geeignete Maßnahmen planen und koordinieren, pflegerische Interventionen durchführen und deren Wirksamkeit evaluieren.

Teilnehmende lernen:

  • die Mundgesundheit einer Person systematisch einzuschätzen,
  • angemessene pflegerische Maßnahmen zur Förderung der Mundgesundheit zu planen, zu koordinieren und durchzuführen,
  • Menschen mit Pflegebedarf zur Verbesserung der Mundgesundheit zu informieren, zu beraten und zu schulen,
  • sowie pflegerische Maßnahmen kritisch zu evaluieren.

Besonderheiten des Kurses

Der Kurs zeichnet sich durch eine praxisnahe Aufbereitung aus. Interaktive Übungen, Fallbeispiele und Wissensabfragen sorgen dafür, dass Teilnehmende das Gelernte direkt anwenden können. Schritt-für-Schritt-Anleitungen für Screening, Assessment und Prothesenpflege machen komplexe Abläufe greifbar. Besondere Situationen wie abwehrendes Verhalten oder spezielle Bedarfe in Intensiv- und Palliativpflege werden ebenfalls berücksichtigt.

Für wen ist der Kurs geeignet?

Der Kurs richtet sich an Pflegefachpersonen in stationären und ambulanten Einrichtungen sowie an Fachkräfte in der Akutversorgung und Behindertenhilfe. Besonders profitieren Teams, die ihre Kompetenzen in der Mundpflege standardisieren und die Qualität der Versorgung nachweislich verbessern möchten.

Sie möchten mehr zu unserem Kurs-Angebot erfahren? Eine Übersicht unserer zahlreichen E-Learning-Kurse finden Sie hier.

Auszug aus dem Relias E-Learning-Kurs „Expertenstandard – Förderung der Mundgesundheit“

Quellenverzeichnis

DNQP – Deutsches Netzwerk für Qualitätsentwicklung in der Pflege (2021): Expertenstandard Förderung der Mundgesundheit in der Pflege, Sonderdruck einschließlich Kommentierung und Literaturstudie.

World Health Organization (2024a): Tracking progress on the implementation of the Global oral health action plan 2023–2030. Genf.

World Health Organization (2024b): Global strategy and action plan on oral health 2023–2030 – launch/news update.

Frontiers in Public Health (2024): Health professionals’ perceptions, barriers and knowledge towards oral health care for dependent nursing home residents – Systematic Review.

Optional zur Vertiefung: BMC Oral Health (2024): Oral health assessment in institutionalized older adults – Scoping Review.

war als ausgebildete zahnmedizinische Fachangestellte in der Kieferchirurgie tätig. Nach ihrem Studium der Pädagogik/Bildungswissenschaften an der Ludwig-Maximilians-Universität war sie in verschiedenen sozialen Arbeitsfeldern tätig. Darunter der Elementarbereich, die Eingliederungshilfe sowie die Familienhilfe mit geflüchteten Menschen. In ihrer letzten Position übernahm sie die übergeordnete Gruppenleitung zweier inklusiver Wohngemeinschaften der Lebenshilfe. Derzeit ist sie Fachautorin bei Relias.
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