Expertenstandard Sturzprophylaxe

Inhaltsverzeichnis

Lesedauer: 5 Minuten

Stürze gehören zu den häufigsten Ereignissen im Pflegealltag. Sie gefährden nicht nur die körperliche Unversehrtheit, sondern auch das Vertrauen in die eigene Mobilität und die Selbstständigkeit der zu pflegenden Menschen. Ein strukturiertes Vorgehen nach dem DNQP Expertenstandard Sturzprophylaxe hilft, Risiken frühzeitig zu erkennen und wirksame Maßnahmen einzuleiten. Professionelle Sturzprävention in der Pflege bedeutet, Mobilität zu erhalten und Sicherheit zu fördern. Das Gilt sowohl für stationär als auch ambulant.

Der folgende Beitrag zeigt, wie Pflegefachpersonen Sturzrisiken einschätzen, individuelle Maßnahmen planen und umsetzen, die Pflegeplanung präzise formulieren und den Erfolg kontinuierlich evaluieren.

Bedeutung der Sturzprävention in der Pflege

Ein Sturz ist laut DNQP ein unbeabsichtigtes Ereignis, bei dem eine Person auf dem Boden oder einer tieferen Ebene aufkommt. Diese scheinbar einfache Definition macht deutlich: Jeder Sturz hat Ursachen, und viele davon sind beeinflussbar. Professionelle Sturzprävention in der Pflege verfolgt das Ziel, Stürze zu vermeiden, ohne die Bewegungsfreiheit einzuschränken.

Pflegefachpersonen übernehmen hier eine zentrale Rolle. Sie erkennen Risikofaktoren, fördern die sichere Mobilität und sorgen für Aufklärung im Team und bei Angehörigen. Ein konsequent umgesetzter Standard trägt dazu bei, Verletzungsrisiken zu verringern und das Vertrauen der Pflegebedürftigen in ihre eigene Bewegungskompetenz zu stärken.

Sturzrisiko einschätzen – die Basis jeder Prävention

Die Einschätzung des Sturzrisikos ist der erste und wichtigste Schritt einer wirksamen Sturzprävention. Sie bildet die Grundlage für alle weiteren Maßnahmen und entscheidet darüber, ob Risiken rechtzeitig erkannt und adäquat gemanagt werden können. Der DNQP Expertenstandard Sturzprophylaxe empfiehlt dabei ein zweistufiges Vorgehen: zunächst ein Screening, anschließend falls notwendig ein vertieftes Assessment.

Im Screening prüfen Pflegefachpersonen, ob Anzeichen für ein erhöhtes Sturzrisiko vorliegen. Dazu zählen frühere Sturzereignisse, Gleichgewichtsprobleme, Gangunsicherheit, Schwindel, eingeschränktes Sehvermögen oder die Einnahme bestimmter Medikamente. Auch Verhaltensbeobachtungen, etwa ängstliches Bewegungsverhalten oder das Festhalten an Möbeln, können frühzeitig auf Risiken hinweisen. Ergibt das Screening ein positives Signal, folgt die vertiefte Einschätzung.

Das anschließende Assessment erfasst detailliert alle relevanten Einflussfaktoren. Dabei werden personenbezogene, medikamentenbezogene und umgebungsbezogene Aspekte systematisch betrachtet und mit den individuellen Ressourcen der zu pflegenden Person in Beziehung gesetzt. Diese strukturierte Analyse macht sichtbar, welche Ursachen zusammenspielen und wo gezielte Präventionsmaßnahmen ansetzen können.

Zu den personenbezogenen Faktoren gehören beispielsweise Alter, Mobilitätseinschränkungen, neurologische Erkrankungen, Inkontinenz oder kognitive Defizite. Medikamentenbezogene Faktoren entstehen häufig durch sedierende Arzneimittel, Blutdrucksenker oder Polypharmazie. Umgebungsbezogene Faktoren umfassen Stolperfallen, schlechte Beleuchtung, unpassende Hilfsmittel oder unzureichende Raumgestaltung.

Ebenso wichtig ist es, vorhandene Ressourcen zu erkennen. Etwa Motivation, Muskelkraft, Koordinationsfähigkeit oder soziale Unterstützung. Diese wirken als Schutzfaktoren und können gezielt gefördert werden, um das Sturzrisiko zu senken. Eine tabellarische Übersicht kann die Einschätzung im pflegerischen Alltag strukturieren:

Risikofaktor

Beispiele

Pflegerische Bedeutung

Personenbezogen

Alter, Demenz, Muskelschwäche, Sturzangst

Einschränkungen erkennen, Ressourcen aktivieren

Medikamentenbezogen

Schlafmittel, Antihypertensiva, Polypharmazie

Nebenwirkungen beobachten, ärztliche Rücksprache suchen

Umgebungsbezogen

Unebenheiten, schlechte Beleuchtung, falsche Hilfsmittel

Umgebung anpassen, Stolperfallen beseitigen

Ressourcen

Motivation, Kraft, soziale Unterstützung

gezielt fördern, Training in den Alltag integrieren

Die Einschätzung des Sturzrisikos darf kein einmaliger Vorgang sein. Es sollte regelmäßig überprüft und bei jeder relevanten Veränderung der Pflegesituation aktualisiert werden. Zum Beispiel nach Krankenhausaufenthalten, Medikationsanpassungen oder einem Sturzereignis. Nur so kann die Pflegeplanung dynamisch angepasst und die Sturzprophylaxe langfristig wirksam umgesetzt werden.

Professionelles Sturzrisiko-Management in der Pflege erfordert klinisches Wissen, Beobachtungsgabe und Kommunikationsfähigkeit. Wenn Pflegefachpersonen Risiken systematisch erfassen, Daten strukturiert dokumentieren und Erkenntnisse mit dem Team teilen, entsteht eine solide Grundlage für die individuelle Sturzprophylaxe.

Maßnahmen zur Sturzprophylaxe – stationär und ambulant

Sind die Risiken bekannt, folgt die Planung gezielter Maßnahmen. Der DNQP Expertenstandard Sturzprophylaxe unterscheidet zwischen Einzelinterventionen und multimodalen Programmen.

Einzelinterventionen:

  • Training von Kraft, Balance und Ausdauer
  • Überprüfung und Anpassung von Hilfsmitteln
  • Seh- und Hörhilfen kontrollieren
  • geeignete Schuhe und Kleidung auswählen

Multimodale Maßnahmenprogramme kombinieren mehrere dieser Ansätze. In stationären Einrichtungen kann dies etwa Bewegungsförderung, Medikamentenmanagement und Umgebungsanpassung beinhalten. In der ambulanten Pflege steht die Einbindung der häuslichen Umgebung im Vordergrund, beispielsweise das Entfernen von Teppichkanten oder die Installation von Haltegriffen im Bad.

Wichtig: Fixierungen, Bettgitter oder Gurte sind keine geeigneten Maßnahmen der Sturzprävention. Sie können selbst Risiken erhöhen und sind nur bei medizinischer Indikation zulässig. Ziel bleibt stets die Förderung sicherer Mobilität, nicht deren Einschränkung.

Pflegeplanung Sturzprophylaxe – klare Formulierungshilfen

Die Pflegeplanung übersetzt die Analyse in konkrete Handlungen. Formulierungen sollten präzise, überprüfbar und zielgerichtet sein. Typische Elemente einer professionellen Pflegeplanung zur Sturzprävention sind:

Ziel: Die zu pflegende Person bewegt sich mit Hilfsmitteln sicher in ihrem Wohnbereich.

Maßnahmen: Tägliches Gehtraining mit Unterstützung, wöchentliche Kontrolle des Rollators, Erinnerung an das Tragen rutschfester Schuhe.

Ressourcen: Gute Motivation, intakte Muskelkraft in den Beinen, Unterstützung durch Angehörige.

Evaluation: Wöchentliche Beobachtung der Mobilität, Anpassung bei Veränderungen.

Diese klaren Formulierungshilfen erleichtern die Zusammenarbeit im Team und unterstützen die lückenlose Dokumentation.

Schulung, Beratung und Angehörigenarbeit

Wissen und Kommunikation sind zentrale Säulen der Sturzprävention. Pflegefachpersonen informieren, leiten an, beraten und schulen – sowohl Pflegebedürftige als auch Kolleg*innen und Angehörige.

Kurzschulungen im Stationsalltag oder in der häuslichen Pflege vermitteln sichere Bewegungsabläufe, den richtigen Umgang mit Hilfsmitteln oder Strategien bei Sturzangst. Angehörige lernen, wie sie Gefahrenquellen erkennen und aktiv an der Mobilitätserhaltung mitwirken können.

Für Pflegefachpersonen selbst empfiehlt sich eine regelmäßige Schulung zur Sturzprophylaxe, um Fachwissen aufzufrischen und neue Erkenntnisse aus Praxis und Forschung umzusetzen.

Interprofessionelle Zusammenarbeit und Verantwortlichkeiten

Sturzprävention in der Pflege ist keine Aufgabe, die isoliert von einer Berufsgruppe bewältigt werden kann. Sie erfordert ein abgestimmtes Zusammenwirken aller Beteiligten, denn Sturzrisiken entstehen aus vielfältigen Ursachen, die medizinische, therapeutische und pflegerische Aspekte gleichermaßen betreffen. Eine enge interprofessionelle Zusammenarbeit stellt sicher, dass diese Faktoren ganzheitlich erfasst und Maßnahmen wirksam umgesetzt werden.

Pflegefachpersonen beobachten täglich die Mobilität, erfassen Risiken und leiten geeignete Maßnahmen ein. Ärzt*innen bewerten medikamentöse Einflüsse, diagnostizieren zugrunde liegende Erkrankungen und können Behandlungspläne anpassen. Therapeut*innen, insbesondere aus der Physio- und Ergotherapie, fördern gezielt Kraft, Gleichgewicht und Koordination. Sozialdienste oder Angehörige wiederum tragen dazu bei, häusliche Bedingungen und soziale Unterstützung so zu gestalten, dass Pflegebedürftige sicher und selbstständig bleiben können.

Gerade diese enge Abstimmung verhindert, dass Sturzrisiken übersehen oder Maßnahmen doppelt und unkoordiniert durchgeführt werden. Wenn Pflegefachpersonen regelmäßig mit weiteren Berufsgruppen kommunizieren, entsteht ein gemeinsames Verständnis über Ursachen, Ziele und Verantwortlichkeiten. Das erhöht nicht nur die Sicherheit der zu pflegenden Menschen, sondern stärkt auch die Qualität und Kontinuität der Versorgung.

Interprofessionelle Zusammenarbeit bedeutet deshalb mehr als Informationsaustausch. Sie ist die Voraussetzung dafür, dass die Sturzprophylaxe in der Pflege effektiv, ressourcenschonend und patient*innenorientiert umgesetzt werden kann. Nur wenn alle Beteiligten ihr Wissen bündeln und gemeinsam handeln, lässt sich das Ziel einer sicheren Mobilität dauerhaft erreichen.

Evaluation und Qualitätssicherung

Die Wirksamkeit sturzprophylaktischer Maßnahmen muss regelmäßig überprüft werden. Der Standard empfiehlt eine anlassbezogene Evaluation, zum Beispiel:

  • nach jedem Sturzereignis,
  • bei Veränderungen der Mobilität,
  • nach Anpassung von Hilfsmitteln oder Medikamenten.

Ziel ist, die Maßnahmen fortlaufend zu optimieren. Beobachtungen, Rückmeldungen und Sturzprotokolle bilden dabei eine wichtige Datengrundlage für das Qualitätsmanagement.

Eine gut dokumentierte Evaluation erhöht die Transparenz und stärkt das Vertrauen zwischen Pflege, Patient*innen und Angehörigen.

Fazit: Sturzprävention als Kernaufgabe der Pflege

Sturzprävention in der Pflege bedeutet, Risiken zu erkennen, Mobilität zu fördern und Sicherheit zu gewährleisten. Der DNQP Expertenstandard Sturzprophylaxe bietet dafür ein praxisnahes, wissenschaftlich fundiertes Konzept.

Pflegefachpersonen sind Schlüsselfiguren in diesem Prozess. Sie beurteilen, planen, führen durch und evaluieren. So entsteht eine Versorgung, die Selbstständigkeit erhält und das Wohlbefinden der zu pflegenden Menschen in den Mittelpunkt stellt.

Wie kann Relias Ihnen dabei helfen

Der Relias E-Learning „Expertenstandard Sturzprophylaxe in der Pflege“ vertieft die Inhalte des DNQP-Standards praxisorientiert. Er richtet sich an Pflegefachpersonen in allen Versorgungseinrichtungen – stationär wie ambulant.

Lernende erfahren, wie ein systematisches Sturzassessment aufgebaut ist, wie Maßnahmen individuell geplant werden und wie eine effektive Evaluation gelingt. Der Kurs verbindet Fachwissen mit praktischen Beispielen und vermittelt, wie Schulung, Angehörigenarbeit und Dokumentation in der täglichen Pflege umgesetzt werden können.

Ihr Nutzen:

  • fundierte Kenntnisse nach aktuellem DNQP-Standard,
  • praxisnahe Anwendung in allen Pflegesettings,
  • direkt einsetzbare Formulierungshilfen für die Pflegeplanung,
  • höhere Sicherheit für Patient*innen und Pflegefachpersonen.

Wer Sturzprävention professionell gestalten möchte, findet hier kompaktes Wissen, interaktive Lernsequenzen und konkrete Unterstützung für den Pflegealltag.

Sie möchten mehr zu unserem Kurs-Angebot erfahren? Eine Übersicht unserer zahlreichen E-Learning-Kurse finden Sie hier. 

Auszug aus dem Relias E-Learning-Kurs „Expertenstandard Sturzprophylaxe“

Quellenverzeichnis

DNQP – Deutsches Netzwerk für Qualitätsentwicklung in der Pflege (Hrsg., 2022): Expertenstandard Sturzprophylaxe in der Pflege, 2. Aktualisierung, Osnabrück, Deutschland: Schriftenreihe des Deutschen Netzwerks für Qualitätsentwicklung in der Pflege.

PflBG – Pflegeberufegesetz vom 17. Juli 2017 (BGBl. I S. 2581), das zuletzt durch Artikel 9a des Gesetzes vom 11. Juli 2021 (BGBl. I S. 2754) geändert worden ist [online zuletzt abgerufen am 25.01.2023].

schloss zunächst eine Ausbildung zum Gesundheits- und Krankenpfleger ab. Im Anschluss arbeitete er auf einer peripheren gefäßchirurgischen Station, bevor er mehrere Jahre auf verschiedenen interdisziplinären Intensivstationen tätig war. Eine kurzzeitige berufliche Station führte ihn zudem in eine hausärztliche Praxis mit dem Schwerpunkt Virologie. Parallel zu seiner klinischen Tätigkeit absolvierte er ein Studium der Gesundheitspsychologie und Medizinpädagogik. Seit Juni 2025 ist er als Fachautor Teil des Relias-Teams.
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