Kinderschutz in der Kinder- und Jugendhilfe: Verantwortung beginnt im Alltag 

Inhaltsverzeichnis

Kindeswohlgefährdung erkennen – eine Kernkompetenz pädagogischer Fachkräfte

Kinder, die Opfer von Vernachlässigung, Misshandlung oder sexualisierter Gewalt werden, zeigen oft subtile Signale – Signale, die im hektischen Arbeitsalltag leicht übersehen werden können. Umso wichtiger ist es, genau hinzusehen und professionell einzuschätzen, ob eine Kindeswohlgefährdung vorliegen könnte. 

Zu den häufigsten Warnzeichen gehören: 

  • Häufige oder unerklärliche Verletzungen 
  • Rückzug, übermäßige Ängstlichkeit oder plötzliche Aggressionen 
  • Überangepasstes Verhalten oder auffallend sexualisiertes Spiel


Doch Fachkräfte müssen mehr können als nur Symptome zu deuten. Sie brauchen ein Verständnis für die Vielfalt möglicher Ursachen, den Mut, Unsicherheiten auszuhalten, und das Wissen, wann und wie sie handeln dürfen oder müssen.
 

Ein Fallbeispiel aus der Praxis

Seit einigen Tagen beobachtet Ursula Ewald, eine erfahrene Erzieherin, dass sich der 5-jährige Tim aus ihrer Gruppe ängstlich zurückzieht und nicht mehr mit anderen Kindern spielt. Seine sonst freudig strahlenden Augen blicken traurig und weichen ihrem Blick aus.  

Als Tim am Freitag in die Gruppe kommt, bemerkt Frau Ewald Blutergüsse an Tims Oberarm. Als sie ihn danach fragt, sagt er leise, er sei hingefallen. In den darauffolgenden Stunden zieht sich Tim noch stärker zurück als sonst. Außerdem zupft er nervös an seiner Kleidung. 

Als ein anderes Kind einmal laut schreit, bricht Tim in Tränen aus und flüchtet in eine Ecke. Auf Frau Ewalds Nachfrage sagt er, dass er Angst habe, weil „Papa immer so laut schreit“. 

Frau Ewald beruhigt Tim und berät sich mit ihrer Kollegin und der Teamleitung. Sie beschließen, die Schritte einzuleiten, die das Kinderschutzkonzept der Einrichtung dafür vorsieht. 

Diese strukturierte Reaktion zeigt, wie wichtig es ist, Beobachtungen ernst zu nehmen und die nächsten Schritte nicht allein, sondern im Team zu gehen. Besonders entscheidend war hier, dass Frau Ewald nicht gewartet hat, bis sich der Verdacht weiter erhärtet – sondern im Sinne des Kindes aktiv geworden ist. Viele Fachkräfte haben Sorge, falsch zu handeln oder einem Kind und seinen Angehörigen Unrecht zu tun. Doch wer sich auf das Schutzkonzept der eigenen Einrichtung stützt und die dokumentierten Verfahren einhält, kann sicher und verantwortungsvoll agieren. Denn Kinderschutz lebt nicht von Vermutungen – sondern von einem klaren Rahmen für professionelle Entscheidungen.

 

Handlungssicherheit gewinnen: Was tun im Verdachtsfall?

Wer einen Verdacht auf Kindeswohlgefährdung hat, steht oft vor einem inneren Dilemma: Eingreifen oder abwarten? Weiterleiten oder selbst klären? Schweigen oder handeln? 

Klar ist: Niemand sollte in solchen Situationen allein gelassen werden. Einrichtungen der Kinder- und Jugendhilfe brauchen verbindliche Schutzkonzepte, die das Vorgehen im Ernstfall regeln – inklusive Meldeketten, Dokumentationspflichten und Zuständigkeiten. Pädagogische Fachkräfte wiederum sollten die folgenden Schritte sicher beherrschen: 

  1. Beobachtungen sachlich dokumentieren – ohne Bewertung oder Interpretation 
  2. Interne Beratung nutzen – mit Ansprechpersonen gemäß §8a SGB VIII 
  3. Einschätzung einer insoweit erfahrenen Fachkraft (IEF) einholen, wenn nötig 
  4. Das Kind stärken – Zuwendung und emotionale Sicherheit geben 
  5. Absprachen im Team einhalten – keine Alleingänge, kein Aktionismus 


Diese Schritte geben Sicherheit – für das Kind und für die Fachkraft.
 

Wichtig: Die Einschätzung einer Kindeswohlgefährdung ist keine strafrechtliche Bewertung. Pädagogische Fachkräfte sind keine Ermittlungsbehörden. Es geht nicht darum, Beweise zu sammeln, sondern das Kindeswohl zu schützen. Unsicherheiten gehören dazu – sie dürfen aber nicht zu Untätigkeit führen. Die Konsultation einer insoweit erfahrenen Fachkraft (IEF) oder der Kontakt zum Jugendamt – auch anonym – sind bewährte Wege, um Verantwortung zu teilen und angemessen zu handeln.

 

Info: Eine „insoweit erfahrene Fachkraft“ (IEF) ist eine Person mit besonderer Expertise im Kinderschutz. Sie unterstützt Fachkräfte bei der Einschätzung des Gefährdungsrisikos – strukturiert, fachlich fundiert und außerhalb von Hierarchien. Viele Träger benennen intern speziell geschulte Personen für diese Rolle. 
 

Zusammenarbeit mit dem Jugendamt: Sicherheit durch Kooperation 

Fachkräfte sind nicht allein verantwortlich, wenn es um den Schutz von Kindern geht. Das Jugendamt ist zentrale Anlaufstelle bei begründetem Verdacht auf Kindeswohlgefährdung. Eine Kontaktaufnahme kann telefonisch erfolgen – bei Unsicherheiten auch anonym. Die Behörde prüft die Hinweise und entscheidet, ob und welche Maßnahmen notwendig sind. Wichtig: Fachkräfte handeln korrekt, wenn sie den Verdacht weitergeben. Sie greifen damit nicht in elterliche Rechte ein, sondern erfüllen ihren gesetzlichen Schutzauftrag gemäß §8a SGB VIII. 

 

Schlüsselfunktion der Leitungskräfte im Kinderschutz

Leitungskräfte haben eine besondere Verantwortung für den gelebten Kinderschutz in ihrer Einrichtung. Sie sorgen dafür, dass Schutzkonzepte nicht nur auf dem Papier existieren, sondern im Alltag wirksam sind. Dazu gehört es, Zuständigkeiten klar zu regeln, Zeit für kollegiale Beratung bereitzustellen und regelmäßige Fortbildungen zu organisieren. Auch eine offene Fehlerkultur und unterstützende Supervisionsangebote tragen dazu bei, dass Mitarbeitende sich im Umgang mit Verdachtsfällen sicher fühlen. Leitungen prägen somit maßgeblich das Klima, in dem Kinder sich geschützt fühlen – und Fachkräfte handlungsfähig bleiben.

 

Gewaltprävention in Einrichtungen: Schutzkonzepte leben, nicht nur haben 

Kinderschutz ist mehr als die Reaktion auf einen Verdacht. Prävention beginnt im Alltag – in der Haltung, der Sprache, der Gestaltung von Beziehungen und Räumen. Ein gutes Gewaltschutzkonzept ist kein statisches Dokument, sondern ein gelebter Rahmen, der Sicherheit schafft. 

Dazu gehören: 

  • ein Leitbild, das Schutz und Partizipation betont 
  • klare Verhaltensregeln im Umgang mit Nähe, Körperkontakt und Grenzen 
  • Verfahren für Beschwerden, Partizipation und Feedback 
  • regelmäßige Fortbildungen für alle Mitarbeitenden 
  • die systematische Beteiligung von Kindern und Jugendlichen 


Ein solches Konzept macht Gewalt nicht unmöglich – aber deutlich unwahrscheinlicher.

 

Kinder stärken durch Partizipation und Rechte

Prävention gelingt am besten, wenn Kinder selbst zu Mitgestaltenden werden. Sie sollten wissen, wo sie sich beschweren können, wer für sie zuständig ist – und dass ihre Meinung zählt. Einrichtungen, die Kinderrechte in den Alltag integrieren, stärken nicht nur das Vertrauen der Kinder, sondern auch deren Resilienz. Partizipation schützt – nicht nur vor Gewalt, sondern auch vor Ohnmacht. 

 

Relias unterstützt Sie, wirksamen Kinderschutz in Ihren Einrichtungen zu verwirklichen

Unser E-Learning-Kurs „Kinderschutz in der Kinder- und Jugendhilfe“ vermittelt praxisnah, wie Sie mögliche Gefährdungen erkennen, strukturiert einschätzen und präventiv handeln. Die Lernziele: Signale deuten, Handlungssicherheit gewinnen, Schutzkonzepte umsetzen.

 

Besonderheiten des Kurses

Kompakt: ca. 30 Minuten
Fallbeispielgestützt und interaktiv
Teilnahmebestätigung inklusive


Für wen ist der Kurs geeignet?

Für alle Mitarbeitenden in der Kinder- und Jugendhilfe – ob stationär, teilstationär oder ambulant. Auch geeignet für Leitungskräfte und als Pflichtschulung gemäß §8a SGB VIII. 

Stärken Sie Ihre Handlungssicherheit und zeigen Sie Verantwortung – mit einem Kurs, der praxisnah und rechtlich fundiert aufbereitet ist. 

Sie möchten mehr zu unserem Kurs-Angebot erfahren? Eine Übersicht unserer zahlreichen E-Learning-Kurse finden Sie hier. 

 

Quellen

  • Bündnis Kinderschutz MV (2023): Checkliste KWG gem. § 8a Abs. 4 SGB VIII [online, zuletzt aufgerufen am 08.04.2025]. 
  • Bündnis Kinderschutz MV (2020): Richtig handeln beim Verdacht auf Kindeswohlgefährdung – strafrechtliche Aspekte aus anwaltlicher Perspektive [online, zuletzt aufgerufen am 08.04.2025]. 
  • DRK – Deutsches Rotes Kreuz (2021a): Kinderschutzkonzept der DRK Kinderwelt in Altena-Lüdenscheid und Lünen gGmbH [online, zuletzt aufgerufen am 08.04.2025]. 
  • SGB VIII – Sozialgesetzbuch – Achtes Buch (VIII) – Kinder- und Jugendhilfe – (Artikel 1 des Gesetzes v. 26. Juni 1990, BGBl. I S. 1163) § 8a Schutzauftrag bei Kindeswohlgefährdung [online, zuletzt aufgerufen am 08.04.2025]. 
  • SGB VIII – Sozialgesetzbuch – Achtes Buch (VIII) – Kinder- und Jugendhilfe – (Artikel 1 des Gesetzes v. 26. Juni 1990, BGBl. I S. 1163) § 45 Erlaubnis für den Betrieb einer Einrichtung [online, zuletzt aufgerufen am 08.04.2025]. 
  • Unicef (2021): Was ist Gewalt gegen Kinder? [online, zuletzt aufgerufen am 08.04.2025]. 
war mehrere Jahre als Krankenpfleger in der ambulanten Pflege tätig. Er erwarb den akademischen Grad Magister Artium in Germanistik an der Freien Universität Berlin. Nach seinem Studium arbeitete er als Texter, Lektor und Redakteur in der Unternehmenskommunikation großer Sozial- und Gesundheitsunternehmen – zum Beispiel der Johannesstift Diakonie und der Berliner Stephanus-Stiftung. Bevor er als Fachautor 2022 ins Relias-Team kam, schrieb er freiberuflich für die Patientenedukation in bariatrischen und thoraxchirurgischen Kliniken, in Adipositaszentren sowie für eine psychoonkologische Gesundheits-App.
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