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Das Durstdefizit älterer Menschen

Inhaltsverzeichnis

Eine der häufigsten Ursachen für Verwirrtheit bei älteren Menschen ist die unzureichende Flüssigkeitszufuhr. Neben der Dekubitusgefahr von immobilen Patienten stellt die Dehydratation alter Menschen eine der großen pflegerischen Herausforderungen dar. Die Exsikkose gerade älterer Patienten ist eine häufig gestellte Diagnose der Mediziner.

Die Möglichkeiten der Pflege, eine Austrocknung zu verhindern, sind vielfältig und gehen in zwei Richtungen. Zum einen geht es darum, den Wasserverlust zu vermeiden oder zu verringern, zum Beispiel durch Luftbefeuchtung und ausreichende Frischluftzufuhr bei Mundatmern, Schnarchern, Bewusstlosen, etc., durch Ausscheidungsbilanz bei Patienten mit Diuretika oder Nieren- oder Herzinsuffizienz, bei fiebernden Patienten durch Senkung des Fiebers und Infektbekämpfung. Eine angemessene, nicht zu hohe Zimmertemperatur ist ebenfalls anzustreben.

Zum anderen geht das Bemühen der Pflege in die Richtung, die Flüssigkeitszufuhr zu erhöhen oder zumindest sicherzustellen. Abgesehen von meist nur vorübergehenden, intravenösen Substitutionen ist eine Magensonde oder eine PEG (=Perkutane endoskopische Gastrostomie) das letzte Mittel der Wahl, um Patienten vor dem Verdursten zu bewahren. Auch subkutane Infusionen kommen gelegentlich zur Anwendung. In seltenen Fällen kommt eine Methode zum Einsatz, nämlich vermittelst rektaler Tropfinfusionen den Flüssigkeitshaushalt des alten Menschen wieder ins Gleichgewicht zu bringen. Dabei wird die anatomisch-physiologische Funktion des Dickdarms, Flüssigkeit zu resorbieren, für den Zweck der Flüssigkeitssubstitution genutzt.

Eine weitere Möglichkeit, das Flüssigkeitsvolumen zu erhöhen, besteht darin, Nahrung mit einem höheren Wassergehalt anzubieten. Suppen, Brühe, Gemüse, Obst haben zudem den Nebeneffekt, dass sie einer möglichen Obstipation vorbeugen. Wenn das Durstgefühl nachlässt, dann braucht es vielleicht häufig stärkerer Geschmacksreize. Durstanregende Gewürze, Süßigkeiten oder auch ein erhöhter Salzgehalt kommen als Mittel der Stimulation in Frage. Schließlich wird in der Pflege vielfach diskutiert, inwieweit die Auswahl des Gefäßes eine Trinkförderung bewirken kann. Form, Größe, Gewicht und Handhabung sind hierbei die Auswahlkriterien. Glas, Flasche, Strohhalm, Becher, Tasse oder Schnabelbecher stehen zur Verfügung, werden aber nicht immer situationsangemessen und zielgerichtet eingesetzt.

Der größte Risikofaktor für die Entwicklung einer eines Flüssigkeitsdefizits liegt wohl in der Unfähigkeit, sich selbst mit Essen und Trinken zu versorgen.

Wenn der Körper mehr als 0,5 % seines Gewichtes an Wasser verliert (Durstschwelle) tritt beim gesunden Menschen Durst auf. Es kommt zur Verminderung des Speichelflusses mit dem Gefühl der Mundtrockenheit.  Bei älteren Menschen erlischt das Durstgefühl meist früher als bis die physiologisch benötigte Wassermenge resorbiert ist, und zwar schon nach Benetzen der Mundschleimhaut (präresorptive Durststillung). Eine endgültige und physiologisch ausreichende Durststillung tritt jedoch erst ein, wenn die entsprechend benötigte Wassermenge im Darmtrakt resorbiert wurde (resorptive Durststillung).

Im Alter besteht also eine Hypodipsie (altersphysiologisches Durstdefizit), der entsprechende Meldemechanismus von den Darmschleimhäuten an das Gehirn bzw. die entsprechende Verarbeitung kann gestört sein, so dass der zu geringe „Wasserstand“ nicht zu Bewusstsein gelangt. Verschiedene Untersuchungen des Trinkverhaltens kommen immer wieder zu ähnlichen Ergebnissen. So zeigten die Befunde nach einer Durstphase von 24 Stunden bei alten und jungen Männern, dass die jungen Männer ein deutliches Durstgefühl artikulierten, während die alten nur ein wenig oder gar nicht ausgeprägtes Gefühl hatten. Nach der Aufforderung, etwas zu trinken, betrug die durchschnittliche Menge bei den Jüngeren etwa 600 ml, wohingegen die Älteren schon bei einer Menge von durchschnittlich 250 ml meinten, sie wären gesättigt.

Mit steigendem Alter lagert der Körper auch mehr Fett ab und speichert weniger Wasser im intrazellulären Raum. Die geringere Muskelmasse korrelliert mit einem geringeren Gesamtwasseranteil. Schließlich sind Schluckstörungen oder die Angst vor dem Verschlucken im Alter häufig Ursache einer Dehydratation.

Bewährte Instrumente zur Erfassung eines möglichen Risikos sind neben der Krankenbeobachtung (trockene Haut und Schleimhäute, fehlender Speichelsee unter der Zunge, trockene Achseln, psychische Auffälligkeiten, etc.) Bilanzen und Trinkprotokolle sowie Fragen zu Trinkgewohnheiten und -vorlieben im Rahmen der Anamnese. Bei älteren Menschen ist die stehenbleibende Hautfalte in keinem Fall ein sicherer Hinweis auf eine Exsikkose. Im Zweifel kann der fehlende Speichelsee unter der Zunge ein Hinweisgeber sein. Aber noch empfehlenswerter ist es, neben der Einfuhrkontrolle einen Blick auf die Farbe (Konsistenz) des Urins zu richten.

Beachtenswert ist schließlich, dass das Leitsymptom des Wassermangels in höherem Lebensalter nicht der Durst, sondern die Inappetenz und Verweigerung der Nahrungsaufnahme ist. Verweigerung (des Trinkens) kann darüber hinaus Ausdruck für bestimmte Mitteilungen von Seiten der Bewohner sein, die es richtig zu deuten gilt. Von häufig sehr alltäglichen Dingen, wie Übelkeit, nicht sitzender Zahnprothese oder Übermüdung abgesehen, ist auch an eine Depression oder an einen Sterbenswunsch zu denken. Nicht selten ist die Verweigerung auch Ausdruck des letzten Selbstbehauptungswillens bei sehr schwachen Menschen, die sonst keine Möglichkeit besitzen, ihr Selbstbestimmungsrecht zum Ausdruck zu bringen.

So gehört eine gezielte Trinkanamnese zum Standard in geriatrischen Kliniken, Krankenhäusern und Altenheimen. Fragen zu Trinkgewohnheiten (z.B. Trinken aus der Flasche), Lieblingsgetränken und Verwendung besonderer Gefäße (Persönliche Lieblingstasse) sind heutzutage selbstverständlich. Pflegende beobachten Vorlieben und Abneigungen, beachten Tagesschwankungen und bieten gegebenenfalls alternative Trinkgefäße an. Auch Trinkanlässe (Trinkrunden, Feste) und besondere Orte (Cafeteria, Speiseraum) werden gezielt genutzt. Das Wissen um die Physiologie und den Bedarf allein reicht also nicht aus, um eine ausreichende Flüssigkeitsbilanz sicher zu stellen. Trinkappelle und Argumente werden die meisten alten Menschen nicht erreichen. Vielmehr ist Kreativität gefragt. Hier ist wohl eine gute Umgebungs- und Beziehungsgestaltung viel wichtiger als das reine Bereitstellen und Verabreichen von Flüssigkeiten.

Wie viel Flüssigkeit aber sollte nun täglich zugeführt werden?
Eine zwar veraltete, aber einfache Faustregel zur Bestimmung des Flüssigkeitsbedarfs ist:
30 ml pro Kilogramm Körpergewicht. Zwar rutschen dann Personen mit weniger als 50 kg unter die allgemein geforderte 1500 ml-Grenze und auch stark übergewichtige Personen (ab ca. 100 kg) werden mit sehr hohen Trinkmengen belastet, aber für die Mehrzahl der Menschen ist diese Formel durchaus passend.
In der professionellen Pflege gilt folgende Formel im Sinne der Grundsatzstellungnahme der MDS:
100 ml je  kg für die ersten 10 kg,
50 ml je kg für die zweiten 10 kg Körpergewicht,
15 ml für jedes weitere kg Körpergewicht.
Für einen Menschen mit 70 kg Körpergewicht sind das: 2250 ml, bei 110 kg = 2850 ml

Von dieser errechneten Flüssigkeitsmenge können zur Berechnung des Trinkbedarfs etwa ein Drittel der Flüssigkeit, der nämlich in der Nahrung steckt, abzogen werden. Das heißt aber auch: Wenn ein alter Mensch wenig oder gar nicht isst, muss um so mehr getrunken werden.

Michael Thomsen ist seit 1998 Fachkrankenpfleger für Geriatrische Rehabilitation mit langjährigen und grundlegenden Erfahrungen und Kenntnissen im Bereich der Pflege von Menschen mit altersassoziierten Erkrankungen wie Schlaganfall und Demenz. Die Erfahrungen im direkten Kontakt mit Bewohnern und Angehörigen sowie die Sachzwänge der professionellen Pflege haben ihn empfänglich gemacht für kreative und pragmatische Lösungen. Seit 2010 ist er ausgebildeter Heimleiter, Dozent und Autor diverser Fachartikel rund um die Themen Pflege und Demenz. Als ausgewiesener Pflegeexperte mit Erfahrungen in der stationären Altenhilfe legt er besonderen Wert auf der wissenschaftsbasierten Organisation von pflegerischen Dienstleistungen im Sinne einer pragmatischen Verknüpfung von Theorie und Praxis.

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