Enterostoma-Versorgung – Ein Bündel an Herausforderungen

Inhaltsverzeichnis

Für die etwa 160.000 Stomaträger*innen in Deutschland (Sauer et al. 2014: 5) bedeutet das Enterostoma in der Regel eine große Veränderung in ihrem Leben. Einerseits befreit das Stoma die betroffenen Menschen oft von anhaltenden Schmerzen und plötzlichen Durchfällen. Gegebenenfalls stellt es sogar eine Maßnahme dar, die ihr Leben rettet. Andererseits bedeutet ein künstlicher Darmausgang häufig auch eine erhebliche physische und psychische Herausforderung für sie. Sie erleben häufig die Angst vor dem Verlust von Lebensqualität, Hobbys und vielen alltäglichen Selbstverständlichkeiten, aber auch Schamgefühle, Ekel und Verunsicherung.

Daher sind Menschen mit einem Stoma auf eine professionelle, einfühlsame Unterstützung angewiesen, die ihnen das Gefühl von Sicherheit und Kompetenz vermittelt.

Sie als Pflegefachperson nehmen hier eine Schlüsselrolle ein: Sie helfen, die alltägliche Stomapflege zu meistern, Komplikationen zu vermeiden und den betroffenen Menschen ein selbstbestimmtes Leben in ihrem gewohnten Umfeld zu ermöglichen. Dazu unterstützen Sie Betroffene beim Umgang mit ihrem Stoma auf so natürliche und professionelle Weise wie nur möglich.

Doch nicht nur für Betroffene kann ein Enterostoma eine Umstellung bedeuten. Auch Pflegefachpersonen können bei der Enterostoma-Versorgung vor Herausforderungen gestellt werden, die über die reine Technik der Versorgung hinausgehen.

 

Herausforderung 1: Die Haut schützen und intakt halten

 

Eine gesunde, intakte Haut im Bereich des Stomas ist die wichtigste Grundlage für eine komplikationslose Stomaversorgung. Daher der Hautschutz das A und O der Stomaversorgung, denn die peristomale Haut, das heißt, die Haut um das Stoma herum, ist besonders anfällig für Reizungen und Infektionen, die durch Stuhl oder Feuchtigkeit entstehen können.

Bei vielen Patient*innen kann schon das Anbringen der Hautschutzplatte durch Hautfalten, Narben oder ein unebenes Stoma erschwert werden. Solche anatomischen Besonderheiten erfordern eine Anpassung der Pflegepraktiken.

 

Individuelle Anpassung der Hautschutzplatte

Die Hautschutzplatte bildet eine Art Barriere zwischen der Stomaversorgung und der Haut. Sie soll verhindern, dass die Ausscheidungen mit der Haut in Kontakt kommen, und dient damit dem Schutz der empfindlichen peristomalen Haut. Die Hautschutzplatte muss exakt an die Konturen des Stomas angepasst werden, um Leckagen und Hautirritationen zu verhindern. Pflegefachpersonen müssen häufig kreativ werden, um die Platte entsprechend der Stomaform und der Hautgegebenheiten zuzuschneiden.

Liegt das Stoma in einer Hautfalte oder hat es sich unter Hautniveau zurückgezogen, sind konvexe Hautschutzplatten ein Mittel der Wahl. Sie sind in der Mitte zur Hautseite vorgewölbt und üben so einen leichten Druck auf den Bauch aus. Dadurch ragt das Stoma nach oben und außen, sodass die Ausscheidung nicht unter die Hautschutzplatte gelangt. 

Tipp: Wird die Basisplatte vor dem Auftragen auf die Haut auf Körpertemperatur erwärmt, z. B. indem die betroffene Person sie für ein paar Minuten nah am Körper hält, wird sie flexibler und lässt sich leichter modellieren. Die Platte sollte auf keinen Fall auf der Heizung, im Ofen oder in der Mikrowelle beziehungsweise mit einem Föhn erwärmt werden!

 

Verwendung von speziellen Haftprodukten

Bei unregelmäßig geformten Stomaanlagen, Bauchfalten oder Narben können ausschneidbare oder modellierbare Materialien zum Hautschutz verwendet werden. Dazu gehören Stomapasten oder Modellierstreifen, die an die individuelle Anatomie der Betroffenen angepasst werden können. Dabei sind Fingerspitzengefühl und Erfahrung gefragt, um diese Materialien so zu modellieren, dass Hautfalten oder Narben ausgeglichen und Leckagen verhindert werden.

Doch trotz – oder gerade wegen – der unterschiedlichen Materialien, bleibt die Schwierigkeit bestehen, die passende Kombination aus Platte und Hilfsmitteln zu finden, um eine dichte Abdichtung zu gewährleisten.

 

Herausforderung 2: Die Haut pflegen

 

Eine gesunde, intakte Haut im Bereich des Stomas ist die wichtigste Grundlage für eine komplikationslose Stomaversorgung (Hofmann/Summa 2017). Ist die Hautbarriere der peristomalen Haut erst einmal gestört, können Mazerationen, Infektionen und Hautschäden die Folge sein und dazu führen, dass die Stomaversorgung nicht mehr sicher haftet. So entsteht ein Teufelskreis, denn wegen der nicht sicher haftenden Stomaversorgung können Ausscheidungen unter die Hautschutzplatte gelangen und die Hautbarriere wird weiter geschädigt.

 

Grundprinzipien der Hautreinigung

Beachten Sie bei der Hautreinigung folgende Grundprinzipien:

  • Reinigung der Haut in der Regel mit Wasser und Vlieskompressen
  • Keine Verwendung von Mullkompressen, Zellstoff oder Papier
  • Trockentupfen statt Trockenreiben der Haut
  • Vorsichtige Rasur im peristomalen Bereich zur Vorbeugung von Haarbalgentzündungen
  • Gegebenenfalls Verwendung von nicht rückfettender Reinigungslotionen bei starker Hautverschmutzung

 

Herausforderung 3: Komplikationen erkennen und vermeiden

 

In einer Befragung gaben 77 % der befragten Stomaträger*innen an, dass sie in den letzten 3 Monaten Komplikationen mit dem Stoma hatten (Marienfeld 2020: 18). Diese Komplikationen zu vermeiden ist ein zentrales Ziel der Pflege.

Regelmäßige Kontrollen der Haut und des Stomas helfen, Probleme frühzeitig zu erkennen und gezielt darauf zu reagieren. Begutachten Sie das Stoma dazu sorgfältig bei jedem Wechsel des Versorgungssystems. Weisen Sie die Betroffenen, und auf Wunsch auch deren An- und Zugehörige, darauf hin, die Stomaschleimhaut und die peristomale Haut regelmäßig zu kontrollieren, z. B. mithilfe eines kleinen Kosmetikspiegels. Werden Anzeichen einer Komplikation entdeckt, ziehen Sie spezialisierte Fachkräfte wie Stomatherapeut*innen hinzu, damit das Versorgungssystem angepasst und zusätzliche Maßnahmen ergriffen werden können.

 

Herausforderung 4: Wer übernimmt die Kosten?

 

Die Kostenträger übernehmen aufgrund der Bestimmungen der Sozialgesetzgebung in der Regel die Kosten für alle notwendigen Hilfsmittel, die für die tägliche Stomaversorgung benötigt werden. Dazu gehören Stomabeutel, Hautschutzplatten und anderes Verbrauchsmaterial. Voraussetzung ist, dass diese Hilfsmittel zweckmäßig und wirtschaftlich sind. Kosten, die über das Notwendige hinausgehen, werden meist nicht übernommen (Kaser-Brehmer 2017: 252). Für die Patient*innen ist es hilfreich zu wissen, dass die Krankenkasse oft nur eine bestimmte Anzahl von Beuteln pro Tag (etwa drei) erstattet. Auch besondere Produkte zur Hautreinigung, Einmalhandschuhe, Hautschutztücher oder Scheren usw. müssen von den Betroffenen in der Regel selbst finanziert werden (Wieczorek 2018).

Pflegefachpersonen können Betroffene beraten, wie sie ihre Versorgung im Rahmen der Krankenkassenleistungen optimal gestalten können. In besonderen Fällen, etwa bei außergewöhnlich hohem Bedarf oder bei komplizierten Stomaversorgungen, können Pflegekräfte gemeinsam mit den Betroffenen prüfen, ob eine Sonderbewilligung beantragt werden kann.

 

Herausforderung 5: Wie umgehen mit Scham und Ekel?

 

Sowohl bei der betroffenen Person als auch bei Ihnen kann die Versorgung eines Stomas mit Scham oder Ekel verbunden sein.

 

Scham

Versuchen Sie, durch Gespräche von der Situation abzulenken (ZQP 2023: 15). Fördern Sie die Selbstständigkeit der betroffenen Person, indem Sie nur übernehmen, was notwendig ist (ZQP 2023: 13). Respektieren Sie bei der Versorgung des Stomas die Privatsphäre der betroffenen Person!

 

Ekel

Ekel ist ein Schutzmechanismus, der uns vor krankheitsauslösenden Substanzen schützt (Curtis et al. 2004: 131). Er kann besonders durch Gerüche ausgelöst werden, die als Sinnesreiz nur schwer ausgeblendet werden können.

Versuchen Sie, Ekelgefühle in den Hintergrund treten zu lassen, indem Sie Ihren Fokus verschieben. Konzentrieren Sie sich auf die Pflegehandlung und darauf, wie Sie die Person mit Pflegebedarf bestmöglich unterstützen können. Zusätzlich kann es helfen, möglichst flach und durch den Mund zu atmen und den Raum vor der Tätigkeit gut zu lüften (Derkaoui 2022).

 

Praxiswissen zum Enterostoma durch E-Learning vermitteln

 

Relias bietet den E-Learning-Kurs „Enterostoma versorgen – Grundlagen“ seit dem Sommer 2024 in der Kursbibliothek an.

Ergänzt wird dieser Grundlagenkurs durch 4 Kurse in dem Format „Pro on the Go“. Diese jeweils etwa 15-minütigen Kursen vermitteln sowohl das Hintergrundwissen als auch anhand von kurzen Videos das korrekte Vorgehen zu den Themen 1- und 2-teiliges System wechseln, Stomabeutel wechseln und Stomabeutel leeren.

Außerdem können Sie sich hier kostenfrei ein Webinar mit der Fachexpertin Margarete Wieczorek zur optimalen Versorgung des Enterostoma anschauen. 

 


 

Quellennachweise 

Curtis, V et al. (2004): Evidence that disgust evolved to protect us from risk of disease, in: Proceedings of the Royal Society Biology, 271 (Suppl. 4), S. 131–133 [online, zuletzt abgerufen am 24.06.2024].

Derkaoui, S. (2022): Ekel in der Pflege: 6 Tipps zum Umgang mit dem Tabu [online, zuletzt abgerufen am 12.11.2024].

Kaser-Brehmer M. (2017): Hilfsmittelversorgung aus Sicht des Kostenträgers, in: Gruber G. (Hrsg.): Ganzheitliche Pflege bei Patienten mit Stoma. Praxis und Beratung – stationär und ambulant, Berlin, Heidelberg: Springer-Verlag

Marienfeld, U. (2020): Peristomale Wunden – Ursache und Behandlung, in: Heilberufe 4/2020, Berlin: Springer-Verlag.

Sauer, K. et al. (2013): Barmer GEK Heil- und Hilfsmittelreport 2013, in: Barmer (Hrsg.): Schriftenreihe zur Gesundheitsanalyse, Band 22, Siegburg: Asgard Verlagsservice [online, zuletzt abgerufen am 12.11.2024].

Wieczorek, M. (2018): Materialien für die Stomaversorgung [online, zuletzt abgerufen am 12.11.2024].

ZQP – Zentrum für Qualität in der Pflege (2023): Scham. Praxistipps für den Pflegealltag [online, zuletzt abgerufen am 24.06.2024].

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