Hintergrund
Das Gesundheitssystem und die darin beschäftigten Akteure stehen hinsichtlich aktueller gesellschaftlicher Entwicklungen vor stetig wachsenden Herausforderungen. Steigende Zahlen älterer und hochbetagter Menschen, Verbreitung chronischer Krankheiten und Multimorbidität spielen dabei eine wesentliche Rolle (BMG, BMFSFJ 2016, S. 1). Jene Aspekte lassen eine Zunahme von Pflegebedürftigkeit und psychischer Leiden erwarten und implizieren die Notwendigkeit von sich wandelnden Versorgungsstrukturen des Gesundheitssystems (Kuhlmey 2013, S. 8).
Diese zu erwartenden Veränderungen der Strukturen bedeuten auch ein Erfordernis von Anpassungsleistungen auf der Ebene der schulischen und hochschulischen Pflegebildung (MGEPA 2014, S.18). Jene stehen in der Verantwortung, die heranwachsenden Fachkräfte auf die zukünftigen Herausforderungen vorzubereiten (DBR 2007, S. 3ff).
Neben der schulischen Ausbildung, die durch Einführung der generalistischen Ausbildung weitreichende Veränderungen erfährt, wird eine zusätzliche, tragende Säule in der Pflegebildung fest implementiert: Die Einführung des berufsqualifizierenden Pflegestudiums soll der Zunahme hochkomplexer Pflegebedarfe entsprechen und den Transfer des sich stetig weiterentwickelnden pflegewissenschaftlichen Wissens in die Pflegepraxis unterstützen (BMG, BMFSFJ 2016, S. 2). Zudem soll durch das Pflegestudium die Akademisierung der Pflege vorangetrieben und ein wichtiger Schritt zur Weiterentwicklung der Pflege als eigenständige Profession getan werden (ebd.). Hinsichtlich der genannten Herausforderungen kann eine entsprechende Reaktion auf der Ebene der Fachkräfteausbildung wahrgenommen werden.
Ein Aspekt, der in diesem Zusammenhang jedoch bisher wenig betrachtet scheint, ist die Möglichkeit der Fortbildung für die bereits tätigen Akteure in der Gesundheits- und Krankenpflege. Jene Personen die sich, nach Abschluss ihrer 3 bzw. 4-jährigen Ausbildung, der täglichen Versorgung der Patienten in den unterschiedlichen Settings der Akut- und Langzeitversorgung widmen. Mit Beendigung der Ausbildung bzw. des Studiums, ist in der Regel der Wissenserwerb in diesem Bereich abgeschlossen.
Die Aneignung weiterführender theoretischer und praktischer Inhalte, erfordert ein hohes Maß an Eigeninitiative. Auswahl, Anmeldung und Durchführung von Fortbildungen wird dem Interessierten selbst überlassen. In der Regel wird man für die Teilnahme bzw. Durchführung kleinerer Veranstaltungen vom Arbeitgeber freigestellt oder kann Bildungsurlaub beantragen. Dabei ist die Dauer des Bildungsurlaubes begrenzt und wird häufig nur genehmigt, wenn dienstliches Interesse vorliegt und keine Lücken in der Dienstplanbesetzung vorliegen.
Weiterhin scheint die Pflege vor allem unter einem hohen Arbeitsdruck zu leiden, sodass jeder Pflegende froh ist, nach dem Dienst schnellstmöglich nach Hause zu kommen und die wenigen restlichen Stunden des Tages zu genießen, bevor die nächste Schicht ansteht.
Resultierend aus hoher Arbeitsbelastung und einem Mangel an effektiver Freizeit stellt sich die Frage nach der Teilnahmebereitschaft von Lernangeboten für die eigene berufliche Profilbildung auf den herkömmlichen Lernwegen. Es scheint einleuchtend, dass sich niemand für einen Abendkurs einschreibt und sein pflegerisches Wissen erweitert, wenn er eine „7-Tage-Frühdienstwoche“ vor sich hat. Auch scheint die Motivation sich abends mit einem Fachbuch auf die Couch zu setzen um sich autodidaktisch fortzubilden, eher gering.
Es muss sich somit die Frage gestellt werden, welche Möglichkeiten bestehen, um die bereits tätigen Akteure auf die sich stetig wandelnden Anforderungen, technischen Neuerungen und immer komplexer werdenden Versorgungsstrukturen vorzubereiten? Wie müssen jene Fort- und Weiterbildungsangebote gestaltet sein, damit sich Pflegende diesen öffnen und ein möglichst hohes Maß an Wissen erhalten? In der Auseinandersetzung mit den einzelnen Möglichkeiten in der Erwachsenenbildung und vor dem Hintergrund des Lebenslangen Lernens, scheint es sinnvoll, jene Angebote möglichst niederschwellig, barrierefrei, zielgruppenspezifisch und vor allem nachhaltig zu gestalten.
Das Konzept Lebenslanges Lernen (LLL)
Ein wichtiges Konzept in diesem Zusammenhang und eine Grundidee in der Erwachsenenbildung ist das zuvor erwähnte Lebenslange Lernen (LLL). Bisher gibt es unterschiedliche Begriffsbestimmungen für das Lebenslange Lernen. Gemäß der EU-Definition wird LLL beschrieben als: „alles Lernen während des gesamten Lebens, das der Verbesserung von Wissen, Qualifikationen und Kompetenzen dient und im Rahmen einer persönlichen, bürgergesellschaftlichen, sozialen, bzw. beschäftigungsbezogenen Perspektive erfolgt“. Diese bis heute gültige Definition der EU wurde im Dokument „Einen europäischen Raum des lebenslangen Lernens schaffen“ im Jahr 2001 festgelegt. Als lebenslanges Lernen wird demnach prinzipiell jedes Lernen – formal, non-formal, informell – in allen Lebensphasen – von der Kindheit bis ins Alter – verstanden.“ (BMB 2005-2016)
Es ist somit offensichtlich möglich das Prinzip des Lebenslangen Lernens auch auf die Pflegepersonen und deren Qualifizierungsbedarf bzw. -Wunsch zu übertragen. Um die Beteiligung an Fort und Weiterbildungen zu erhöhen, „(…) müssen die Möglichkeiten für das Lernen im gesamten Lebenslauf verbessert und attraktiver gestaltet werden, indem neue Anreize geschaffen und bestehende Hindernisse beseitigt werden (BMBF 2016)“.
Dazu führt das BMBF (2016) unter anderem aus:
- Jede Person muss ermutigt werden, das Lernen als bleibende Herausforderung und als Chance für die persönliche Lebensgestaltung anzunehmen.
- Kein Abschluss soll ohne die Möglichkeit eines Anschlusses zu einer weiteren Qualifizierung bleiben.
- Dies bedeutet ebenso, dass neben einer Angebots- auch eine verstärkte Nachfrageorientierung erforderlich ist.
- Dabei sind – insbesondere im Rahmen der öffentlich verantworteten Weiterbildung – bezahlbare und zielgruppenspezifische Angebote zu schaffen, die auch bildungsferneren Schichten einen einfachen Zugang zu Weiterbildung bieten.
- Wichtig sind vor allem eine an der Berufs- und Arbeitsbiographie und der Lebens- und Lernsituation der Menschen orientierte Bildungsberatung und entsprechende Lernangebote. Das schließt eine konsequente Einbeziehung der vielfältigen informellen Lernprozesse außerhalb von Bildungsinstitutionen ein. Arbeitsprozesse müssen lernintensiver gestaltet werden, um die Chancen des Lernens am Arbeitsplatz besser zu nutzen.
- Wir wollen insgesamt das Lernen im Lebenslauf für und mit Unternehmen ausbauen und die Weiterbildung stärker mit der High-Tech-Strategie verbinden. Ein besonderes Augenmerk gilt dabei den kleinen und mittleren Unternehmen.
Betrachtet man diese einzelnen Punkte lassen sich sehr gut die riesigen Potentiale für die, voll im Arbeitsprozess steckende, pflegerische Einzelperson erkennen. Neben der herausgestellten Bedeutung für eine Anschlussqualifizierung und Biographieorientierung, wird ein erster Hinweis auf neue Lernformate gelegt. Mittels Ausbau von High-Tech-Strategien, soll die Teilnahme an Fort- und Weiterbildungen niederschwelliger und barrierefreier gestaltet werden.
Anwendungsbeispiel
Denken wir uns dazu eine Person X, die seit einem Jahr die Ausbildung abgeschlossen hat. Nach ca. 1 Jahr hat diese Person den Stationsablauf und die speziellen Anforderungen der Station verinnerlicht. Nun möchte sich diese Person gerne mehr Wissen zu einer bestimmten Thematik aneignen. Bei einem Vollzeitvertrag muss X in der Regel 21/30 Tagen im Monat im 3- Schichtsystem arbeiten. Es leuchtet ein, dass die Bereitschaft sich für einen Kurs einzuschreiben oder etwa Fachliteratur zu lesen vermutlich gering ist und vor allem die Nachhaltigkeit aufgrund fehlender Kontrollmechanismen eingeschränkt ist.
Es muss an dieser Stelle über andere Lernformate nachgedacht werden. Hinsichtlich der zuvor getroffenen Aussagen, kann das Lernen mittels Online-Basierung eine sinnvolle Alternative darstellen, um für diese Person einen Wissens- und Kompetenzzuwachs zu ermöglichen. Unsere Person X würde statt den Weg zur Fortbildungseinrichtung oder Bibliothek etc. zu gehen, einfach zu einem selbstgewählten Zeitpunkt den Laptop anmachen und ein Onlineangebot nutzen. Diese Angebote ermöglichen einen niederschwelligen und barrierefreien Zugang und eröffnen die Möglichkeit spezifische Inhalte auszuwählen.
Ein weiterer Vorteil ist, dass sich die einzelne Person dazu nicht aus den eigenen 4-Wänden bewegen muss und zudem den Zeitpunkt des Lernens frei wählen kann. Diese genannten Faktoren scheinen deutlich in Zusammenhang mit einer erhöhten Selbstwirksamkeit und der Wahrscheinlichkeit des Aufrechterhaltens des eigenen Handelns, zu stehen.
Durch eingestellte Test- und Kontrollverfahren haben die Teilnehmer zudem einen integrierten Mechanismus, welcher den eigenen Wissenszuwachs protokolliert. Diese genannten Aspekte, in Verbindung mit der zeitnahen praktischen Umsetzung können die Nachhaltigkeit deutlich erhöhen.
Fazit
Es scheint also nur allzu sinnvoll, über den Ausbau dieser Formate nachzudenken. Neben dem individuellen Bedürfnis der Weiterentwicklung und Kompetenzerweiterung, kann so auch ein Beitrag im Sinne des LLL geleistet werden. Eine entsprechende Bedarfs- und Bedürfniserhebung für die Zielgruppe der ausgebildet Pflegenden scheint zudem zielführend, um die sich bereits entwickelnden Onlineangebote entsprechend ausrichten zu können.
Literatur:
DBR- Deutscher Bildungsrat für Pflegeberufe (Hrsg.) (2007): Pflegebildung offensiv: Das Bildungskonzept des Deutschen Bildungsrates für Pflegeberufe 2006. Eckpunkte. Elsevier, Urban & Fischer Verlag, 1-8
Kuhlmey A (2013): Präambel. In: Alscher M D: Gesundheitsberufe neu denken, Gesundheitsberufe neu regeln. Grundsätze und Perspektiven, eine Denkschrift der Robert Bosch Stiftung. Stuttgart: Robert Bosch Stiftung. 8-12