Um die Versorgungsqualität in deutschen Krankenhäusern zu verbessern, leitete der damalige Gesundheitsminister Hermann Gröhe bereits 2017 die Einführung von Personaluntergrenzen ein. Die Untergrenzen sollten federführend vom GKV-Spitzenverband und der Deutschen Krankenhausgesellschaft (DKG) spätestens bis zum 30. Juni 2018 vereinbart werden. Sie mussten im Verfahren zusätzlich Verbände, wie unter anderem den Deutschen Pflegerat (DPR), Verdi, Arbeitgeberverbände und die Arbeitsgemeinschaft der Wissenschaftlichen Medizinischen Fachgesellschaften (AWMF) anhören.
Über Monate hinweg konnten der GKV-Spitzenverband und die Deutsche Krankenhausgesellschaft (DKG) sich in den Verhandlungen nicht einigen, ein Vermittlungsversuch des Bundesministeriums für Gesundheit (BMG) scheiterte. Bei dauerhafter Uneinigkeit können die Untergrenzen vom BMG per Rechtsverordnung festgesetzt werden. So hatte Jens Spahn die Verordnung im Oktober 2018 auf den Weg gebracht, aber auch bis Ende 2019 befristet. Danach – so die Hoffnung – soll wieder eine von Kassen und DKG erarbeitete Regelung an ihre Stelle treten.
Mehr Pflegekräfte im Krankenhaus ab Januar 2019
Seit 1. Januar 2019 gelten in vier so genannten pflegesensitiven Krankenhausbereichen Pflegepersonaluntergrenzen, die in einer Verordnung (PpUGV seit 11.10.2018 in Kraft) festsetzt wurden.
In den Bereichen Intensivmedizin, Geriatrie, Kardiologie und Unfallchirurgie sind nun die Untergrenzen als maximale Anzahl von Patienten pro Pflegekraft festgelegt. Dabei wird zwischen Tag- und Nachtschichten unterschieden. In Krankenhäusern wird ab sofort jede zusätzliche Pflegekraft zur Erreichung der Personaluntergrenze voll finanziert. Auch in der Altenpflege werden erstmalig 13.000 zusätzliche Pflegestellen von der Sozialversicherung vollständig finanziert.
Begleitet wird diese Maßnahme ab 2020 von Vorgaben für die gesamte Pflege im Krankenhaus, dem „Ganzhausansatz“. Dieser stellt sicher, dass Krankenhäuser strukturell ausreichend Pflegepersonal für ihre Patienten haben. In der Berechnung dafür, werden die Pflegekräfte ins Verhältnis zur Patientenzahl gesetzt. Es wird auch der Anteil von Pflegehilfskräften mittels eines Grenzwertes ermittelt, damit ausreichend qualifiziertes Personal garantiert ist.
Wer dauerhaft zu wenig Pflegekräfte in seinem Haus einsetzt, gefährdet Pflegekräfte und Patienten und wird mit Sanktionen zu rechnen haben. Die Krankenhäuser müssen für die einzelnen Monate Durchschnittswerte der Personalbesetzung ermitteln und dabei zwischen verschiedenen Stationen und Schichten differenzieren. Krankenhäuser müssen die Einhaltung der Pflegepersonaluntergrenzen durch einen unabhängigen Wirtschaftsprüfer nachweisen. Der Erfüllungsgrad muss ebenfalls in den Qualitätsberichten ab 2020 öffentlich dokumentiert sein.
Wie wurden die Pflegepersonaluntergrenzen ermittelt?
Um die Datenlage zu verbessern, wurde 2018 das Wirtschaftsprüfungsunternehmen KPMG beauftragt, repräsentative Stichproben in den Fachabteilungen vorzunehmen. Mit diesen Ist-Daten sollen die 25 Prozent (Quartil) der Krankenhäuser identifiziert werden, die am wenigsten Pflegepersonal einsetzen. In der „Studie zur Pflegepersonalausstattung und „Pflegelast“ in pflegesensitiven Bereichen in Krankenhäusern“ der KPMG wurde die Personalsituation in der Geriatrie, Herzchirurgie, Intensivmedizin, Kardiologie, Neurologie sowie Unfallchirurgie untersucht. In die Erhebung sind Informationen aus 139 Krankenhäusern eingeflossen. KPMG hat dazu mögliche Pflegepersonaluntergrenzen berechnet.
Die konkreten Untergrenzen in den vier pflegesensitiven Krankenhausbereichen
Intensivmedizin
- Tagschicht maximal 2,5 Patienten pro Pflegekraft; Nachtschicht 3,5 Patienten pro Pflegekraft
- Ab 1. Januar 2021 gilt: Tagschicht 2 Patienten pro Pflegekraft; Nachschicht 3 Patienten pro Pflegekraft
Geriatrie
- Tagschicht 10 Patienten pro Pflegekraft; Nachtschicht 20 Patienten pro Pflegekraft
Unfallchirurgie
- Tagschicht 10 Patienten pro Pflegekraft; Nachtschicht 20 Patienten pro Pflegekraft,
Kardiologie
- Tagschicht 12 Patienten pro Pflegekraft; Nachtschicht 24 Patienten pro Pflegekraft
Wer wird das bezahlen?
Die anfallenden zusätzlichen Kosten tragen die Kranken- und die Pflegeversicherung und damit die Beitragszahler: Avisiert sind laut zeit.de bis 2022 neun Milliarden Euro Zusatzkosten für die gesetzlichen Krankenkassen und 900 Millionen Euro für die Pflegeversicherung. Es ist nicht sicher, ob die vorhandenen Mittel ausreichen werden für die Pflegeversicherung sind Beitragserhöhungen unausweichlich. Der GKV Spitzenverband fordert für die nächsten Jahre zusätzliche Bundeszuschüsse.
Kritik und Skepsis
Unterschiedliche Interessenverbände kritisieren die fehlende Transparenz in der Festlegung der Untergrenzen und sehen Herausforderungen in der praktischen Umsetzung. Es bleibt fraglich, ob die Erfüllung von Untergrenzen automatisch die Qualität in der Patientenversorgung steigern wird.
Untergrenzen sind Untergrenzen, sie seien vergleichbar mit der Schulnote 4, „gerade noch versetzt, aber alles andere als gut“, meint z.B. der stellvertretende Vorstandsvorsitzende des GKV-Spitzenverbandes, Johann-Magnus von Stackelberg.
Die Deutsche Krankenhausgesellschaft weist darauf hin, dass Pflegepersonaluntergrenzen wenig nützen, solange auf dem Arbeitsmarkt keine Pflegekräfte verfügbar seien. Derzeit dauere die Wiederbesetzung einer Stelle in der Altenpflege durchschnittlich 170 Tage und in der Fachkrankenpflege 194 Tage (zeit.de).
Verdi lehnt die Beschränkung auf „pflegesensitive Bereiche“ ab und präsentierte andere Bedarfszahlen. Danach müsste das Pflegepersonal in den Kliniken um 22 Prozent aufgestockt werden. In absoluten Zahlen ausgedrückt fehlen aus Sicht von Verdi 80.000 Pflegekräfte.
Andere Fachleute kritisieren den Berechnungsansatz von „Bereichen“ und fragen sich, was damit gemeint sei: Station, Abteilung oder Bereiche wie Intermediate Care? Denn etliche Kliniken nehmen eine sogenannte Clusterbelegung mit Patienten vor, um eine optimale Auslastung von Stationen zu erreichen. Außerdem fürchtet man bei einer Festlegung auf Bereiche, dass das Pflegepersonal einfach „wie auf einem Verschiebebahnhof von Stationen ohne Untergrenzen auf Stationen mit Untergrenzen hin- und hergeschoben wird.“ Damit wäre für die Pflegekräfte und Patienten nichts gewonnen.
Auch die Deutsche Gesellschaft für Neurologie (DGN) und die Deutsche Gesellschaft für NeuroIntensiv- und Notfallmedizin (DGNI) halten die Vorgabe und Berechnung der Untergrenzen in der Intensivmedizin für ungeeignet zur Entspannung der Personalbelastung in der Pflege. Die Personalzahlen seien zu niedrig angesetzt und damit praxisfern, so heißt es auch aus Pflegekreisen. Zudem sei der Personalschlüssel zu Patienten nur ein Faktor für die steigende Arbeitsbelastung, so die beiden Fachgesellschaften. Berücksichtigt werden müssten auch die zunehmende Dokumentationspflicht, die vermehrte Anzahl älterer multimorbider Patienten und der erhöhte Patientenumsatz in den Krankenhäusern. Problematisch sehen die Fachgesellschaften auch die Berechnungsgrundlage der Untergrenzen: Es sollen die 25 Prozent schlechtesten Krankenhäuser im Hinblick auf Personal – Patientenverhältnis an die übrigen 75 Prozent angeglichen werden. Dies berge sogar die Gefahr einer schlechteren Personalausstattung, da Kliniken mit besserem Personalschlüssel bei fehlendem positivem finanziellem Anreiz dann Personal einsparen würden und trotzdem die gesetzlichen Vorgaben einhalten würden.
Weitere Maßnahmen für den Pflegeberuf und für eine bessere Versorgung
Um den Pflegenotstand insgesamt in den Griff zu bekommen, ist der Politik bewusst, dass sich weitere Maßnahmen anschließen müssen: Der Pflegeberuf muss besser bezahlt werden, damit er in Deutschland attraktiver wird. Es sollen auch deutlich mehr Pflegefachkräfte ausgebildet werden als bisher. Die Auszubildendenzahlen sollen bis 2023 um zehn Prozent steigen.
Spahn startete im Juli 2018 gemeinsam mit Familienministerin Franziska Giffey (SPD) und Arbeitsminister Hubertus Heil (SPD) die „konzertierte Aktion Pflege“ . Heil will bis Mitte 2019 die Löhne von Pflegekräften deutlich erhöhen und dazu einen Flächentarifvertrag in der Pflege initiieren. Spahn will außerdem gezielt Fachkräfte aus Osteuropa anwerben und innovative Versorgungsansätze sowie eine arbeitserleichternde Digitalisierung am Arbeitsplatz anstoßen.
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