Nachdem unterschiedliche Konzepte der Praxisanleitung vorgestellt wurden, geht es in diesem Teil um die inhaltliche Bestimmung von Praxisanleitung und Praxisbegleitung. Zudem wird das Lernen im dritten Lernort sowie dessen Rolle in der Anleitung skizziert.
Begriffsbestimmung von Praxisanleitung und Praxisbegleitung
Der Auszubildende Peter hat in den vorherigen Teilen unterschiedliche Methoden der Praxisanleitung erfahren. Peter hatte sich auch über die gesetzlichen Bestimmungen hinsichtlich der Praxisanleitung informiert. Doch welche Unterschiede gibt es zur Praxisbegleitung? Welche Herausforderungen ergeben sich aus den jeweiligen Perspektiven?
Praxisbegleitung
Praxisbegleitung kann verstanden werden als Unterstützung für die praktische Ausbildung. Arens (2015) formuliert dazu: „Diese Unterstützung erfolgt dabei durch begleitende Besuche in den Einrichtungen zur Betreuung und Beurteilung der Lernenden sowie durch Beratung der Praxisanleitenden durch die Lehrenden der Schulen (Arens 2015, S. 41).“
Die Praxisbegleitung soll durch hauptamtliche Lehrpersonen in den Schulen durchgeführt werden. Dabei müssen die Lehrkräfte eine berufsbezogene und pädagogische Qualifikation vorweisen. Durch eine vertrauensvolle Beziehung soll insgesamt zu einer gemeinsamen Abstimmung zwischen Schule und den Einrichtungen der praktischen Ausbildung beigetragen werden (ebd., S. 43). Ziel ist neben dem „Bindeglied“ zwischen Theorie und Praxis, auch die Überprüfung der beruflichen Handlungskompetenz.
Praxisanleitung
Die Träger der praktischen Ausbildung müssen die Praxisanleitung sicherstellen und dafür Sorge tragen, dass das Ausbildungsziel erreicht werden kann. Die Träger sind außerdem dazu verpflichtet Praxisanleiter*innen zu benennen. Dabei haben die Praxisanleiter*innen neben der Betreuung und dem Anlernen der Auszubildenden auch die Aufgabe Kontakt mit der Schule zu halten. (Arens 2015, S. 40)
In der nachfolgenden Tabelle wird die Interventionslogik der Praxisbegleitung der Interventionslogik der Praxisanleitung gegenübergestellt.
Praxisbegleitung | Praxisanleitung |
Die Schule unterstützt durch Praxisbegleitung die praktische Ausbildung | Die Lernenden schrittweise an die eigenständige Wahrnehmung der beruflichen Aufgaben heranführen:
|
Betreuung und Beurteilung der Lernenden durch regelmäßige begleitende Besuche in den Einrichtungen | Kontakt mit den Schulen halten:
|
Mit den Lernenden Fragen aufarbeiten und diese in ihrem Lern- und Entwicklungsprozess beraten | An Fort- und Weiterbildungen teilnehmen |
Die Lernenden in der praktischen Ausbildung anleiten | |
Supervision der Lernenden | |
Praxiskontakte halten und den Informationsaustausch gewährleisten | |
Begründung der Leistung der praktischen Prüfung | |
Und vieles mehr |
(vgl. Arens 2015, S. 42)
Betrachtet man die Inhalte genauer, stellen sich einige Fragen. Zunächst werden nur Empfehlungen, jedoch keine Richtlinien zum Umfang und der Häufigkeit der Praxisanleitung und Praxisbegleitung erstellt. Die Praxisanleitung erfordert eine gesetzlich definierte Qualifikation. Doch kann nur ein*e weitergebildete*r Praxisanleiter*in eine gute Praxisanleitung durchführen? Können nicht ebenso erfahrene Kolleg*innen dies übernehmen? Ab welchem Zeitaufwand spricht man von Praxisanleitung? Muss immer ein zuvor überlegtes Konzept dahinterstehen oder ist der informelle Austausch zwischen Anleiter*in und Lernenden nicht ebenfalls eine Form der Praxisanleitung. Was passiert, wenn Auszubildende 3 Jahre absolutes Pech haben und in jedem Einsatz immer der*die Praxisanleiter*in erkrankt ist. Diese Auszubildenden hätten dann 3 Jahre keine Anleitung erhalten – darf er oder sie dann überhaupt die staatliche Examensprüfung ablegen?
Die Praxisbegleitung soll durch die hauptamtlich Lehrenden durchgeführt werden. Was ist jedoch mit den Lehrkräften die seit einigen Jahren nicht mehr im Berufsfeld tätig waren? Können diese Lehrenden bestimmte Fähigkeiten ebenso effizient und authentisch vermitteln wie tätige Praktiker*innen? Kann es dazu kommen, dass sich die Lehrenden fremd fühlen und gar nicht mehr in das „Feld“ wollen? Wie kann dieser hohe zeitliche Aufwand gestützt und personell gefördert werden? Welche Rahmenbedingungen müssen geschaffen werden, damit Praxisbegleitung als Praxisbegleitung zählt? (Dauer, Häufigkeit etc.)
Auf diese Fragen müssen Antworten gefunden werden. Um die Zusammenarbeit der beiden Lernorte – Schule und Praxis – zu verbessern, wurde unter anderem in den 1970er Jahren der dritte Lernort entwickelt. Dieser Lernraum gewinnt aktuell immer mehr an Bedeutung.
Lernräume in der Pflegeausbildung und die Rolle des Skills Labs
Das Lernen in der Pflegeausbildung findet an drei unterschiedlichen Lernorten statt. Die Schule wird als erster Lernort in der Literatur aufgeführt. An den Einrichtungen des Gesundheitswesens, z. B. Krankenhäusern, Rehabilitationskliniken oder Praxiseinrichtungen, findet durch die Lehrenden die Begleitung der Lernenden in der Praxis statt (VIFSG 2015). Neben diesen beiden Lernorten besteht die Möglichkeit zur Vorbereitung der Lernenden auf das berufliche Handeln im sogenannten dritten Lernort, dem Skills Lab.
„Skills Labs (dt. Fertigkeitenlabore) sind Räume in der beruflichen Bildung der Gesundheitsberufe, die typische Tätigkeitsbereiche des jeweiligen Berufes abbilden und die Möglichkeit bieten, demonstrierte Handlungen beobachtbar zu machen“ (VIFSG 2015).
Skills Labs sind Räume, in denen die Lernenden spezifische Fähigkeiten und Fertigkeiten, welche sie in ihrer beruflichen Praxis benötigen, möglichst realistisch trainieren. Indem die trainierten Fertigkeiten später in der realen praktischen Situation angewendet werden können, trägt das Lernen im Skills Lab zur guten Vorbereitung der Lernenden auf die Praxis bei (Riedo 2006, S. 41). Das Arbeiten im Skills Lab hat dabei viele positive Aspekte im Sinne des Lernprozesses:
- ausgewählte Handlungen können beliebig oft wiederholt werden
- durch Reflexion und Wiederholung kann eine gewisse Handlungssystematik entwickelt werden
- Handlungen können in kleinste Schritte „zerlegt“ und nacheinander geübt werden (Beckers et al. 2010, S. 10)
- individuelle Anpassung an das Lerntempo der Lernenden
- ausgewählte Fähigkeiten können reproduzierbar gemacht und nach einem gewissen Standard erlernt werden
- das individuelle Lernen erhöht die Selbstsicherheit bei den Teilnehmern (Wellard 2009, S. 232)
- dies ist besonders beim Erstkontakt mit realen Patient*innen von Vorteil (Beckers et al. 2010, S.10)
- es können Ängste vor der Praxissituation abgebaut werden, indem erst nach dem Üben an Mitlernenden und ggf. mit Simulationspatient*innen die Handlungen an realen Patient*innen umgesetzt werden müssen (Klemme 2012, S. 53)
- durch Reflexionsschleifen werden Handlungsabläufe verinnerlicht und zu implizitem Wissen umgewandelt (MGEPA 2014, S. 154)
- durch das geschützte Setting ist es möglich, eine positive Fehlerkultur zu entwickeln
- Die Lernenden können so in diesem Kontext aus ihren Fehlern eine individuelle Weiterentwicklung erfahren (Staudinger 2015, S. 40)
- dieser Lernort bietet die Gelegenheit, eigene Erfahrungen aus der Berufspraxis einzubringen, aufzuarbeiten und ggf. im Gruppenprozess Lösungen zu entwickeln (Ludwig, Umbescheid 2014, S. 35)
Diese vielfältigen positiven Aspekte sollten zunehmend in der Konzeption der neuen Curricula Berücksichtigung finden. So ist dem Rahmen zu den Ausbildungsinhalten zu entnehmen:
„Den Auszubildenden werden Kompetenzen vermittelt, die über die Kompetenzen der bisherigen getrennten Ausbildungen hinausgehen und den Aufbau einer umfassenden Handlungskompetenz verfolgen“ (BMG/BMFSFJ 2016, S. 4).
Den Eckpunkten bezüglich der praktischen Ausbildung kann entnommen werden:
„Die Inhalte des theoretischen und praktischen Unterrichts fließen dabei in die praktische Ausbildung ein und dienen als Grundlage dazu, die für die Berufsausübung notwendigen Handlungskompetenzen zu entwickeln“ (BMG/BMFSFJ 2016, S. 5).
Durch diese Forderungen erhält der Diskurs zur beruflichen Handlungskompetenz erneute Aktualität. Es muss an dieser Stelle die Frage gestellt werden, wie es zur Entwicklung beruflicher Handlungskompetenzen im Bereich der pflegerischen Bildung kommen kann. Berufliche Handlungskompetenz äußert sich unter anderem in einer funktionierenden, am Fall orientierten, auf die Situation bezogenen und fachlich korrekten Problemlösung (Schewior-Popp 2011, S. 7). Da sich berufliche Handlungskompetenz vor allem in den konkreten Situationen der pflegerischen Praxis zeigt (Staudinger 2015, S. 40), müssen Überlegungen zur Ausgestaltung dieser und weiterer Lehr-Lernarrangements getroffen werden.
In diesem Sinne scheint ein intensiver Diskurs zur Ausgestaltung und gezielten Implementierung des Skills Labs in die generalistische Ausbildung nach dem Pflegeberufegesetz sehr sinnvoll und notwendig. Wie kann ein Lernen in diesen Räumen gestaltet werden, um dem generalistischen Charakter der Ausbildung gerecht zu werden? Wer ist als Lehrende*r in diesen Räumen geeignet – Praxisbegleiter aus dem Lernort Theorie oder Praxisanleiter aus dem Lernort Praxis? Welche Rahmenbedingungen müssen geschaffen werden, um ein authentisches Lernen in Lernlaboratorien zu schaffen?
Teil 1 der Serie: Praxisanleitung in der Ausbildung für die Gesundheits- und Krankenpflege
Teil 2 der Serie: Praxisanleitung in der Ausbildung: Lernen am Modell
Teil 3 der Serie: Leittextmethode
Teil 4 der Serie: OSCE als Form der Anleitung
Teil 5 der Serie: Praxisanleitung vs. Praxisbegleitung – und das Lernen im dritten Lernort?
Literatur
BMG- Bundesministerium für Gesundheit; BMFSFJ- Bundesministerium für Familie, Senioren; Frauen und Jugend (Hrsg.) (2016): Eckpunkte für eine Ausbildungs- und Prüfungsverordnung zum Entwurf des Pflegeberufsgesetzes: https://www.bundesgesundheitsministerium.de/fileadmin/Dateien/3_Downloads/P/Pflegeberuf/Eckpunkte_APrVO.pdf, letzter Zugriff 08.11.2017
VISFG – Interprofessioneller Verband zur Integration und Förderung des Skills-Lab-Konzeptes in den Gesundheitsberufen (Hrsg.) (2015): Skills Labs – Räume in der beruflichen Bildung: https://www.vifsg.de/unsere-themen/skills-lab-konzept/, letzter Zugriff 08.11.2017
Staudinger C (2015): Skillslabtraining an Pflegeschulen. In: PADUA 10 (1), 40–47
Schewior-Popp S (2006): Praktische Ausbildung- Eine Standortbestimmung. Berufliche Handlungskompetenz als übergeordnetes Ziel. In: Praktische Ausbildung (2006). Padua 1 (2), 6-10
MGEPA – Ministerium für Gesundheit, Emanzipation, Pflege und Alter des Landes Nordrhein-Westfalen (2014): Abschlussbericht Dezember 2014 „Inhaltliche und strukturelle Evaluation der Modellstudiengänge zur Weiterentwicklung der Pflege- und Gesundheitsfachberufe in NRW“: https://www.mhkbg.nrw/mediapool/pdf/pflege/20150528_NRW-Abschlussbericht-End-26_05_2015.pdf, letzter Zugriff 08.11.2017
Ludwig I, Umbescheidt R (2014): Dritte Lernortdidaktik in Pflege und Sozialpädagogik. Erfahrungen aus 10 Jahren Umsetzung, Entwicklung & Schulung in Deutschland, Österreich und der Schweiz. In: Pädagogik der Gesundheitsberufe. Die Zeitschrift für den interprofessionellen Dialog. Ausgabe 1-2014. Hpsmedia, 32-36
Klemme B (Hg.) (2012): Praktischer Unterricht am Lernort Schule. In: Klemme B. Lehren und Lernen in der Physiotherapie. Stuttgart: Thieme Verlag, 46-57
Riedo P (2006): Aufwärts in der Schweiz. Problembasiertes Lernen. In: Lernortkooperation (2006). PADUA 1 (1), 3–66
Wellard S J, Solvoll B-A, Heggen K M. (2009): Picture of Norwegian clinical learning laboratories for undergraduate nursing students. In: Nurse Education in Practice 9 (4), 228–235
Beckers SK, Sopka S, Classen-Linke I, Weishoff-Houben M, Dott W (2010): Strukturell-organisatorische Entwicklung und Etablierung eines interdisziplinären Trainingszentrums für klinisch-praktische Fertigkeiten. GMS Z Med Ausbild. 2010; 27 (1): Doc 10
Arens F (Hg.) (2015): Praxisbegleitung in der beruflichen und akademischen Pflegeausbildung. Eine Standortbestimmung. 1., Erstausgabe, neue Ausg. (Berufsbildungsforschung – Pflege und Gesundheit, 1)