Freiheitsentziehende Maßnahmen bedürfen in Deutschland des Nachweises der Notwendigkeit und der richterlichen Genehmigung. Pflegende brauchen also hier Begründungskompetenz und juristisches Wissen.
Denn es gilt Strafgesetzbuch § 239 Freiheitsberaubung:
„(1) Wer einen Menschen einsperrt oder auf andere Weise der Freiheit beraubt, wird mit Freiheitsstrafe bis zu fünf Jahren oder mit Geldstrafe bestraft.
(2) Der Versuch ist strafbar.
(3) Auf Freiheitsstrafe von einem Jahr bis zu zehn Jahren ist zu erkennen, wenn der Täter
1. das Opfer länger als eine Woche der Freiheit beraubt oder
2. durch die Tat oder eine während der Tat begangene Handlung eine schwere Gesundheitsschädigung des Opfers verursacht.“
Freiheitsraubende Pflegemaßnahmen stellen immer einen Eingriff in die Grundrechte des Menschen dar (Grundgesetz, Art. 1, Art. 2, Art. 104). Gründe, die für die „Notwendigkeit“ bzw. als Rechtfertigung freiheitseinschränkender Pflegemaßnahmen vorgebracht werden, beinhalten:
- Suizidalität
- Autoaggression
- Verweigerung medizinisch lebensnotwendiger Eingriffe
- Selbstgefährdung durch Sturzgefahr
- Selbstgefährdung durch Hinlauftendenz (Weglaufen bei Demenz)
- Fremdgefährdung (Gewalt gegen andere)
- Störung und Belästigung von Mitbewohnern
Wann ist eine Fixierungsmaßnahme (FEM) notwendig?
Bei Gewaltverhalten gegen andere Personen, Suizidalität oder extremer Sturzneigung bei gleichzeitig sehr hohem Verletzungsrisiko muss geradezu eine Bewegungs- mithin Freiheitseinschränkung durchgeführt werden, um Gefahren und körperliche Schäden abzuwehren.
Klar ist und das sollte Bestandteil pflegefachlichen sein, dass eine „Fixierung“ – hier vor allem die körpernahe Bewegungseinschränkung – nur und ausschließlich bei akuter und extremer Selbst- oder Fremdgefährdung (§32 und 34 StGB) vorübergehend erlaubt ist.
Wann ist Fixierung nicht zulässig?
Oft scheint die bewegungseinschränkende Maßnahme vor dem Hintergrund der zunehmenden Schadensfälle etwa nach Sturzereignissen der einzige Ausweg zu sein. Allerdings zeigt die Praxis auch, dass sich solche Maßnahmen dann leicht verselbständigen und sich – zur Routine geworden – der Überprüfung entziehen. Tatsächlich muss sich der ohnehin fragile Mobilitäts-Status der Bewohner*innen darunter weiter verschlechtern. Ein Teufelskreis kann so entstehen!
Das positive Ergebnis einer Risikoeinschätzung allein (z.B. Sturzgefahr) im Rahmen des pflegerischen Assessments rechtfertigt per se aber keine FEM. Im normalen Alltag einer Pflegeeinrichtung sollten also Fixierungsmaßnahmen zur absoluten Ausnahme gehören.
Fixierung ist keine Sturzprophylaxe! Eine bloße Sturzgefahr darf auf keinen Fall dazu führen, dass eine Fixierung per se als Sturzprophylaxe angesehen wird. Die Forschung der letzten Jahre hat eindeutig nachgewiesen, dass Fixierungen speziell Stürze nicht vermeiden. Im Gegenteil, die Gefahr des Stürzens steigt sogar deutlich an! Darüber hinaus gehen mit Fixierungen erhebliche, zusätzliche Risiken einher. Aus der erzwungenen Immobilität resultieren die typischen, medizinischen Komplikationen, die dann zusätzliche ärztliche und pflegerische Interventionen erzwingen:
– Dekubitus (Druck- oder Liegegeschwüre)
– Kontrakturen (Verkürzung von Sehnen und Einsteifung von Gelenken)
– Inkontinenz
– Pneumonie (Lungenentzündung)
– und andere Infekte
– Wahrnehmungsstörungen
– Halluzination und Verwirrtheit
– Verletzungen an Bettseitenteilen und Stürze über das Bettseitenteil hinweg
– Nahrungsverweigerung
– u.v.m.
Die Anwendung von FEMs verhindert zwar in der Regel tatsächlich Stürze – während der Fixierung –, schafft aber zusätzliche Probleme und kann manchmal so weit geraten, dass eine Rehabilitation des Betroffenen bei Entfixierungsversuchen scheitern muss.
Grundsätzliches
Falls ein/e Patient*in oder Bewohner*in sich objektiv fremd- oder selbstgefährdend verhält und eine freiheitsberaubende Maßnahme zu seinem / ihre oder dem Schutz anderer notwendig ist, stellt sich die Frage, wie diese Maßnahme durchgeführt werden kann, ohne den /die Bewohner*in in seiner / ihrer Würde zu verletzen und gegen gesetzliche Bestimmungen zu verstoßen.
Grundsätzlich sollte in der professionellen Pflege gelten:
Fixierung wird als ultima ratio erst dann eingesetzt, wenn andere Maßnahmen nicht zum Erfolg führen; sie ist im Zweifelsfall zu unterlassen.
Rechtliche Betreuer*innen müssen sich stets und immer am subjektiven Willen des / der Betreuten orientieren, also daran, wie sich der / die Betroffene ohne die Auswirkungen seiner Krankheit höchstwahrscheinlich selbst entschieden hätte.
Angst vor Regressansprüchen
Leider werden die Diskussionen häufig beherrscht durch die Angst der versorgenden Einrichtung vor Regressansprüchen und möglichen Haftungsszenarien insbesondere nach Sturzereignissen und Hinlauf-Ereignissen. Eine Mischung aus unreflektierter Fürsorglichkeit und irrationalen Ängsten im Hinblick auf Haftungsfragen, die in Folge aufgebauschter worst-case-Szenarien aufkamen, hat lange Jahre den Alltag in den Heimen beherrscht.
Rolle des Betreuers, der Betreuerin oder Bevollmächtigten
Gegenüber der Heimaufsicht reicht formal aus, dass der / die Betreuer*in die Maßnahme schriftlich angeordnet hat. Liegt eine richterliche Genehmigung nicht vor oder wurde sie noch nicht von dem / der Betreuer*in erwirkt, liegt der Schwarze Peter beim Betreuenden, wenn diese/r über den Tatbestand der FEM in Kenntnis gesetzt wurde, nicht beim Heim. Manche Einrichtungen stellen die entsprechenden Kontaktdaten des Amtsgerichtes bereit und verfügen über entsprechende Formulare, die vom Betreuenden unterschrieben und dem Amtsgericht zugefaxt werden können. Juristisch entscheidend ist die schriftliche Anordnung der FEM durch den / die Betreuer*in oder Vorsorgebevollmächtigten, der / die mit dem entsprechenden Aufgabenbereich explizit betraut ist.
Ist eine Fixierungsmaßnahme absehbar und dauerhaft unumgänglich, muss der/die Betreuer*in oder Vorsorgebevollmächtige in Deutschland bis 24 Uhr des Folgetages das Amtsgericht darüber informieren! In jedem Fall müssen die Pflegekräfte den Betreuenden oder Vorsorgebevollmächtigten unverzüglich informieren. Die Einrichtung kann zwar im Einzelfall die Genehmigung einer FEM beim Amtsgericht beantragen, sollte dies aber immer erst oder gleichzeitig dem / der Betreuer*in oder Vorsorgebevollmächtigten nahelegen. Diese/r muss dazu also zuvörderst sein Einverständnis erklären und es obliegt dann ihm / ihr, eine richterliche Genehmigung bis zum Ende des Folgetags zu erwirken.
Jegliche freiheitseinschränkende Maßnahme muss sich der/die rechtliche Betreuer*in oder Vorsorgebevollmächtigte des / der Betroffenen als „gesetzlicher Vertreter“ vom zuständigen Amtsgericht genehmigen lassen. Diese wissen das oft nicht. Sie müssen also im Bedarfsfall von professionellen Pflegekräften darüber umgehend aufgeklärt werden. Dazu zählen neben der Unterbringung in geschlossenen Abteilungen einer Pflegeeinrichtung und körpernaher wie körperferner Fixierungen auch medikamentöse Interventionen, die vornehmlich auf die Manipulation der Beweglichkeit abzielen.
Medikation als potentielle FEM mit in Augenschein nehmen
In diesem Zusammenhang sei darauf hingewiesen, dass die im Zuge von Arztvisiten angeordneten Medikationen stets auch den Betreuer*innen und gesetzlichen Vertreter*innen zur Einwilligung bekannt gemacht werden müssen. Bestehen Zweifel dahingehend, dass hier vornehmlich bewegungseinschränkende Wirkungen oder Nebenwirkungen des Medikaments (in der Regel Psychopharmaka) im Vordergrund stehen, so sollten die Bevollmächtigten und die Betreuer*innen auch auf die Genehmigungspflicht durch das Amtsgericht aufmerksam gemacht werden.
Angehörige
Vorsorgebevollmächtigte Angehörige sind mit den Formalitäten und Rechtsvorschriften gegebenenfalls etwas überfordert und müssen daher von Seiten des Pflegepersonals – in der Regel der Pflegedienstleitung – darüber eigens aufgeklärt werden! In diesem Zusammenhang sind viele Betreuer*innen oder vorsorgebevollmächtigte Angehörige dankbar, wenn ihnen entsprechende Vordrucke zur Verfügung gestellt werden, um beispielweise eine Genehmigung an das Amtsgericht zu leiten.
Zwar hat das Pflegepersonal gegenüber dem / der Betreuer*in eine gewisse Bringschuld, das heißt, es muss den / die Betreuer*in (und den Arzt / die Ärztin!) über deutliche Änderungen im Verhalten oder hinsichtlich der Fixierungspraxis informieren. Allerdings entbindet diese die Betreuer*innen nicht von der Verpflichtung, sich von dem Zustand des / der Betreuten regelmäßig ein Bild zu machen und sich von der Notwendigkeit einer geltenden FEM auch selbst zu überzeugen. Gegebenenfalls kann zum Beispiel eine Lockerung der Fixierungsmaßnahme angeregt werden, damit sich keine unreflektierte, am Ende nicht mehr begründbare, Routine hinsichtlich der richterlich genehmigten Fixierungsmaßnahme einschleicht.
Verfahren bei Patienten / Bewohner*innen ohne Betreuung oder Vorsorgebevollmächtigten
In den meisten Fällen liegt die Vorsorgebevollmächtigung bei (pflegenden) Angehörigen. Ist aber der Angehörige NICHT vorsorgebevollmächtigt und bei Amtsgericht bekannt, dann ist wie im Falle einer fehlenden rechtlichen Betreuung der / die Angehörige nicht befugt, Maßnahmen (jeglicher Art) gegenüber Pflegekräften anzuordnen. (Das Pflegepersonal darf streng genommen nicht einmal Auskünfte erteilen.)
Wenn es also (noch) keine/n Betreuer*in für den / die Bewohner*in der Einrichtung gibt, dann wird geprüft, ob eine Vollmacht zum Thema freiheitsentziehender Maßnahmen vorliegt. Ist das auch nicht der Fall und der / die Bewohner*in ist zum Beispiel aufgrund einer fortgeschrittenen Demenzerkrankung nicht „einwilligungsfähig“, wird das Verfahren für die Einrichtung einer Betreuung in Gang gesetzt. Wenn also kein/e rechtliche/r Betreuer*in bestellt ist oder diese/r an der Erfüllung seiner / ihrer Aufgaben verhindert ist, kann das Betreuungsgericht auf Anregung z.B. des / der behandelnden Arztes / Ärztin ausnahmsweise gemäß § 1846 BGB von sich aus tätig werden.
Verfahrenspflegeschaften
Nun gehen die Gerichte nach und nach dazu über, in vielen Fällen eine/n Verfahrenspfleger*in zu bestellen, um die Notwendigkeit einer Fixierung überprüfen zu lassen. Die Erfahrungen mit Verfahrenspfleger*innen zur Vermeidung fixierender Maßnahmen haben in den letzten Jahren gezeigt, dass sehr viel seltener als gedacht, freiheitseinschränkende Maßnahmen erforderlich sind, da die Alternativen nicht systematisch und hinreichend geprüft wurden.
Kommt der Verfahrenspfleger zusammen mit den am Verfahren Beteiligten zu dem Ergebnis, dass eine entsprechende Maßnahme notwendig oder alternativlos ist, wird diese vom Richter / der Richterin in aller Regel genehmigt. Wenn festgestellt wird, dass die vorgeschlagene Maßnahme einer Freiheits- oder Bewegungseinschränkung nicht notwendig, überprotektiv, unverhältnismäßig oder gar unangemessen ist, wird das Gericht die Maßnahme nicht genehmigen.
Um Ausnahmen geht es also. Bei offenkundiger und eindeutiger Selbst- oder Fremdgefährdung sind (vorübergehende) freiheits- und / oder bewegungseinschränkende Maßnahmen nicht nur unumgänglich, sondern gar geboten. Tritt solch ein seltener Fall ein, gelten klare Sorgfaltspflichten des Pflegepersonals.
Folgendes gilt es zu beachten:
- Die Maßnahme ist vor dem Hintergrund der akuten Gefahr alternativlos
- und sie ist fachlich (medizinisch, pflegefachlich) geboten.
- Die Empfehlungen der BfArM finden Berücksichtigung. (Schrittsicherung, Seitensicherung)
- Die Mitarbeitenden wenden die Maßnahme sachgerecht an und überzeugen sich vom ordnungsgemäßen Zustand der Fixierungsutensilien.
- Sie informieren umgehend ihre Vorgesetzten.
- Bei fehlender Einwilligung oder Einwilligungsfähigkeit des / der Betroffenen ist der / die Betreuer*in oder der Vorsorgebevollmächtigte unverzüglich zu informieren.
- Nur bei Zustimmung des / der Vorsorgebevollmächtigten oder des Betreuers / der Betreuerin darf die Maßnahme durchgeführt werden.
- Wenn es keine rechtliche Betreuung gibt oder eine Vorsorgevollmacht fehlt, wird das Amtsgericht direkt in Kenntnis gesetzt.
- Betreuer oder Vorsorgebevollmächtigte werden darauf hingewiesen, dass eine richterliche Genehmigung bis um 24:00 Uhr des Folgetages eingeholt werden muss, falls eine regelmäßige oder länger andauernde Fixierung absehbar sein sollte.
- Das ärztliche Attest wird umgehend eingeholt oder geht im Idealfall der Maßnahme voraus.
- Die Maßnahme wird korrekt und umfassend dokumentiert.
- Eine engmaschige Beobachtung des betroffenen Bewohners / der Bewohnerin wird sichergestellt.
- Es erfolgen Versuche, die Bewegungseinschränkung (FEM) aufzuheben.
- Betreuer oder Vorsorgebevollmächtigte werden von jeder Veränderung des betroffenen Bewohners / der Bewohnerin bzw. des Fixierungsgebahrens in Kenntnis gesetzt.
E-Learning-Kurs zum Thema Freiheitsentziehende Maßnahmen
Die E-Learning-Kurse von Relias sind praxisnah, interaktiv und von Fachpersonen geschrieben, die selbst in der Pflege gearbeitet haben. So können Lernende sich anhand von Fallbeispielen mit den Inhalten vertraut machen. In dem E-Learning-Kurs „Freiheitseinschränkende Maßnahmen in der Pflege“ lernen Sie die wichtigsten Arten und den Einsatz von FEM kennen und lernen, eine einschränkungsfreie Umgebung zu schaffen. Mehr zu unseren Kursen finden Sie hier.
Quellen
Michael Jüttner: Unterbringungsrecht, Werdum, 1. Aufl. 2013 (herausgegeben von: Ralph Chauvistré)