Können Pflege- und Service-Roboter den Pflegenotstand in Deutschland spürbar reduzieren? Was können Pepper, Zora, Paro und Co. leisten? Und wie stehen die Menschen zu Robotern in der Pflege?
Rund 3,4 Millionen Menschen waren laut des Statistischen Bundesamtes 2017 pflegebedürftig im Sinne des Pflegeversicherungsgesetzes (SGB XI). Der Pflegenotstand zeigt sich besonders hart in der Altenpflege, wo derzeit knapp eine halbe Million Beschäftigte als Fachkraft oder Helfer arbeiten.
2017 waren pro Monat rund 22.000 offene Stellen für Pflegekräfte gemeldet. Allein durch die demographische Entwicklung steigt der Bedarf an Fachkräften in der Altenpflege weiter an – je nach Szenario um 38 oder 44 Prozent bis 2035, selbst wenn sich am heutigen Personalschlüssel nichts ändern würde, so das Institut der Deutschen Wirtschaft.
Roboter in Krankenhaus und Pflegeheim
In der Krankenhauslogistik sind Roboter seit langem eingeführt. In der Uniklinik Köln bewegen sich z.B. seit den 70er Jahren 90 intelligente Wagen mit Transportaufgaben durch die unterirdischen Gänge. Sie machen seit 40 Jahren auf den Stationsfluren Halt. Auch in der hochmodernen Immanuel Klinik Rüdersdorf bei Berlin können z.B. Transportroboter bis zu 500 Kilogramm schleppen. Sie bringen Essen, steriles Gut oder Wäsche zu den jeweiligen Stationen und legen dabei täglich bis zu 28 Kilometer zurück.
Roboter am Krankenbett sind noch nicht verfügbar. Große Klinikketten prüfen in Studien und Piloteinsätzen derzeit, ob Roboter ihr Personal entlasten könnten. Denn Pflegeaufgaben wie z.B. Nahrung zuführen, Umlagern, Waschen, Wickeln sowie Sprachkompetenz und Interaktion sind für eine Maschine komplexe Probleme und schwer lösbar.
Können Pflegeroboter uns die Hand reichen?
Ein Roboter in der Pflege benötigt viel Präzision, Schnelligkeit und Kraft. Zudem muss er Hindernisse frühzeitig erkennen und sich an die Umgebung gut anpassen können. Er muss also zupacken und zugleich mit Feingefühl weiche oder zerbrechliche Dinge heben und senken können. Derzeit fehlt es hier noch an Geschick und Feinmotorik. Damit er autonom arbeiten kann, muss er permanent programmiert werden und dauerhaft lernen, um auch für unvorhersehbare Situationen tauglich zu sein. Das erfordert eine lange Entwicklungszeit und „Zuwendung“ von Entwicklern und Nutzern.
Pepper an der Uniklinik Halle gilt als einziger auf dem Markt verfügbarer Pflegeroboter, der in Ansätzen für den Einsatz am Bett geeignet ist. Entwickelt von einer Tochterfirma des japanischen Techkonzerns Softbank, kann er als „Gefährte“ Bewohner in Altenheimen oder Patienten in Krankenhäusern ansprechen und z. B. über bestimmte Abläufe informieren. Der rollende Pepper sowie auch die laufende kleinere Zora sind Unterhaltungskollegen. Beide sind auch echte Stimmungskanonen: Sie sprechen, singen, spielen und turnen, holen zum gemeinschaftlichen Singen ab und animieren zum Tanzen. Weitere Anwendungen sollen gemeinsam mit Pflegekräften und Patienten entwickelt werden.
Auch die intelligente Kuschelrobbe Paro, dessen Kosten teilweise von den Krankenkassen übernommen werden, eignet sich nicht für engere Pflegeaufgaben, sondern zur Kommunikation. Der fünftausend Euro teure Paro wirkt anregend und beruhigend auf ältere und an Demenz erkrankte Menschen.
Von den Fraunhofer Forschern wurde in Zusammenarbeit mit der Firma Schunk und dem Studio Phoenix Design der Care-O-bot als Transportroboter entwickelt. Er geht der Pflegekraft zur Hand und soll zeitaufwändige Hol- und Bringdienste ersetzen.
Der in Japan entwickelte Robear kann Menschen in einen Rollstuhl hieven. Doch seine Entwicklung wurde vor Kurzem eingestellt, vermutlich weil er Hilfsbedürftige zu grob anpackte.
Von Robotern gepflegt werden: Was denken die „echten“ Menschen?
Laut der vom BMBF beauftragten Umfrage „ZukunftsMonitor“ (2015) und der Umfrage der pronova BKK aus dem Jahr 2018 und können sich rund ein Viertel der Befragten vorstellen, von Robotern gepflegt zu werden. 80 Prozent können sich den Einsatz eines Pflegeroboters zu Hause vorstellen, wenn sie dadurch länger in den eigenen vier Wänden wohnen bleiben können. Aber die meisten wünschen, dass die Pflege menschlich bleibt und von fachlich gut ausgebildeten Pflegekräften ausgeführt wird.
In einer weiteren Studie im Auftrag des Zentrums für Qualität in der Pflege (ZQP) befürworten 76 Prozent der Befragten einen Einsatz von ausgereiften Robotern zur Unterstützung. Rund 65 Prozent der Befragten bewerteten Roboter positiv, die bei einem Sturz aufhelfen oder in das bzw. aus dem Bett helfen.
Alle Stimmungsbilder zeigen die Kluft in der Bevölkerung zwischen Skeptikern und Hoffnungsträgern gegenüber Formen der Digitalisierung im Allgemeinen und in der Gesundheitsversorgung.
Automatisierung in der Pflege: Vorreiter Japan
Deutschland und Japan haben die größte Roboterdichte und die ältesten Arbeitnehmer der Welt.
Die japanische Gesellschaft hat als erste erkannt, wie sehr sie Roboter und Künstliche Intelligenz brauchen, um die Auswirkungen einer extrem schrumpfenden und alternden Gesellschaft ausgleichen zu können. Sie haben auch gesellschaftlich realisiert, dass Roboter in der Pflege den Menschen nicht die Arbeit rauben wird, sondern das knappe Personal entlastet. Denn hier wie dort herrscht nachhaltiger Arbeitskräftemangel in der Pflege.
Roboter sind dort längst nicht nur Spielzeuge oder Industriemaschinen, sondern auch Begleiter. In Pflegeheimen spielen sie bereits eine wichtige Rolle. Auf Japans Pflegestationen gibt es eine ganze Armada von intelligenten Pflegeassistenzsystemen. Der Unterhaltungsroboter Parlo spielt 365 unterschiedliche Programme ab, Robbe Paro und Pepper dienen unermüdlich. Diverse Gehsysteme zur Rehabilitation und intelligente Muskelanzüge für Pflegekräfte zur Entlastung des Rückens beim Heben der Patienten haben längst Einzug in Japans Pflegealltag genommen. Die Zukunft in Japans Gesundheitsversorgung wird bedeuten: Mehr Computer und mehr Automation. Einziges Hemmnis: Der Preis.
Ausblick: Humanroboter oder Servicemaschine?
Inwieweit Pflegeroboter serienmäßig in Deutschland tatsächlich Einzug in Altenheim und Krankenhaus halten, ist noch völlig ungewiss. Die Komplexität pflegerischer Arbeiten wird unterschätzt; sie maschinell zu ersetzen ist eine Mammutaufgabe und schwer zu lösen, so Patrick Jahn von der Uniklinik Halle – und ethisch vielleicht auch gar nicht wünschenswert.
Forschung und Wirtschaft stehen im finanziellen Risiko bei Fehlentwicklungen, auch wenn öffentliche Fördergelder das Risiko minimieren. Wenn die nächsten Schritte erfolgreich sind, könnte das aber der Dammbruch für die bahnbrechende Digitalisierung im Pflegebereich bedeuten, weiß Frank Kirchner, Leiter des Robotics Innovation Center des deutschen Forschungszentrums für künstliche Intelligenz in Bremen.
Zur Erleichterung des Pflegealltags geht es nach Einschätzung des Zukunftsinstituts zunächst um die Digitalisierung in Hauswirtschaft und Dokumentation und nicht nur um das Großprojekt Pflegeroboter. Der Einsatz neuer Anwendungen kann die Produktivität in der Pflege erhöhen, den Pflegekräften mehr Zeit für die Menschen geben und somit auch die Belastung im Job verringern und für eine bessere Bezahlung sorgen. Unterstützung benötige die Pflege, nach Meinung vieler Experten, weniger in der Unterhaltung der Patienten, als in den handfesten Tätigkeiten und Routinen. Ausgeklügelte Tabletten-Sortierroboter und „Visitenwagen“ werden den Klinikalltag demnächst stärker erleichtern.
Es sieht so aus, dass den Service-Robotern die nächste Zukunft gehört. Der Bedarf an unterstützenden technischen Lösungen wächst aufgrund des erdrückenden Fachkräftemangels und Kostendrucks unaufhörlich. Robotersysteme, die Transporte erledigen und Botengänge übernehmen werden hierzulande weiter perfektionierte intelligente Maschinen, die Service und Support bieten.
Weltweit tüfteln Wissenschaftler derweil weiter an optimierten Roboterlösungen. Kommerzielle und praxistaugliche Systeme werden noch einige Jahre Entwicklungszeit benötigen. „Doch wir müssen jetzt in die Entwicklung investieren. Denn die demografische Entwicklung lässt uns nicht mehr viel Zeit“, warnt Rainer Wieching von der Uni Siegen.
Wir können uns die Zukunft mit Künstlicher Intelligenz nicht genau vorstellen. Wo ist die Grenze zwischen notwendiger und willkommener Entlastung auf der einen Seite und unheimlicher Nähe und folgenschwerer Abhängigkeit auf der anderen? Das Leben mit Robotern, ein Horrorszenario oder eine Chance? Der aktuelle Kinofilm „Hi, AI“ stellt z. B. diese Fragen.
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