Herausgefordertes Pflegeteam – Ursachen und Ausl�ser f�r Verwirrtheitszust�nde bei Demenz

Inhaltsverzeichnis

Lesedauer: 4 Minuten

Man kann bei Verwirrtheitszust�nden verschiedene Ursachen identifizieren, die aber nicht allein oder f�r sich und zwangsl�ufig zu Verwirrtheit f�hren, aber fast immer mitbeteiligt sind. Dar�ber hinaus gibt es nicht-organische (endogene) Ursachen. Hier w�rde ich eher von Ausl�sern oder Triggern sprechen.

Organisch bedingte Ursachen

  • Vergiftungsfolgen oder Entzug von Alkohol, Drogen, Medikamenten oder bei Medikamentenentzug (Parkinson-Mittel, hochpotente Neuroleptika)
  • Elektrolytst�rungen und Dehydratation
  • Vitaminmangel
  • Hypoglyk�mie
  • Hyperthyreose
  • An�mie
  • Infektionen (Pneumonie, Harnwegsinfekte, etc.)
  • Sauerstoffmangel des Gehirns (z.B. bei TIA, PRIND) oder im Zuge zerebraler Erkrankungen
  • Gehirntumore
  • Lewy-K�rperchen-Demenz

Kann die Ursache, wie zum Beispiel Fl�ssigkeits- oder Vitaminmangel, behoben werden, stellt sich in der Regel nach ein paar Tagen eine Verbesserung ein. Bei demenzerkrankten Menschen, die Verwirrtheitssymptome zeigen, muss also immer auch an eine organische Ursache gedacht und danach geforscht werden, bevor beispielsweise �ber den Einsatz von Psychopharmaka nachgedacht wird. Zwar wissen wir, dass demenzerkrankte Menschen eine Risikogruppe f�r Verwirrtheit darstellen und sie auch ohne organische Ursache (endogen) Verwirrtheitssymptome entwickeln k�nnen, aber in jedem Fall muss eine organische Ursache ausgeschlossen werden.

Mitverursachende Umst�nde

  • Wahrnehmungsst�rungen (St�rung der Reizaufnahme oder �verarbeitung, H�rminderung, sensorische Deprivation,� Reiz�berflutung, Agnosie)
  • Schmerzen

An dieser Stelle sei auf eine franz�sische Studie hingewiesen. Die Forscher hatten im Jahr 2013 festgestellt, dass nur 65,8 Prozent der Demenzpatienten in Heimen ein Schmerzmittel erhielten. Die demenzerkrankten Patienten erhielten signifikant weniger Analgetika als Senioren ohne Demenz (42,3 gegen�ber 52 Prozent).

Je weiter die Demenz voranschreitet, um so weniger sind die betroffenen Menschen in der Lage, von oder �ber ihre Schmerzen zu sprechen und k�nnen dann das Schmerzempfinden nur noch in der Aktion ausleben. Wenn Patient*innen oder Bewohner*innen von Pflegeheimen ohne ersichtlichen Grund agitiert sind, aggressives oder sozial unangemessenes Verhalten an den Tag legen, k�nnen Schmerzen dahinter stecken.

Allerdings wurden die Verhaltensweisen nicht nur h�ufig fehlinterpretiert, sondern auch bei eindeutigen Hinweisen auf Schmerzen wird der Studie zu Folge grunds�tzlich seltener zu Schmerzmitteln gegriffen.

Eine weitere Studie in deutschen Pflegeeinrichtungen kam zu dem Ergebnis, dass drei Viertel der Betroffenen unzureichend analgetisch versorgt waren.

Experten empfehlen zur Beurteilung von Schmerzen bei Demenz z.B. den BESD-Fragebogen, mit dessen Hilfe eine systematische Schmerzerfassung unter Einbeziehung nicht-sprachlicher Schmerzhinweise wie auff�llige Atmung, lange Phasen von Hyperventilation, ein grimassierender Gesichtsausdruck oder geballte F�uste erfolgen kann.

Im Zweifel und bei akut auftretendem, herausforderndem Verhalten sollte durchaus �fter einmal ein Versuch in Richtung Schmerzmittelapplikation gewagt werden.� �hnlich wie bei der Schmerzerfassung beispielsweise von S�uglingen sind auch bei demenzkranken, aphasischen Patient*innen oft nur Mutma�ungen m�glich.

Weitere Ausl�ser (Trigger) f�r Verwirrtheitszust�nde

  • Erinnerung an seelisch traumatisierende Erlebnisse (Verlusterlebnisse, …), Intrusionen
  • psychosozialer Stress (Wohnortwechsel, famili�re Spannungen)
  • Angst
  • akute psychische Verletzungen oder andere Traumata

Die Lebensgeschichte der Bewohner*innen birgt oft Ungeahntes. Nicht alles ist den Pflegenden, den Angeh�rigen und Betreuern aus der Biografie oder der gemeinsamen Lebenszeit zug�nglich oder bewusst. Genau so kann das Gro�hirn dem betroffenen Menschen selbst den Zugang zu lebensgeschichtlich Erlebtem verwehren.

Unser Gro�hirn hat eine ganz besondere Aufgabe: Es hemmt! Es bringt Reflexe unter Kontrolle, so dass gezielte und fl�ssige Bewegungen in Feinabstimmung mit dem Kleinhirn m�glich werden. Aber es bringt insbesondere �ber das Frontalhirn im Zusammenspiel mit dem limbischen System die momentanen Emotionen unter Kontrolle. Es passt das soziale Verhalten des Menschen den Normen an und waltet �ber die richtigen Umgangsformen.

Unsere Gef�hle, die mit Erlebtem verbunden sind, werden mittels Frontallappen im Zaum gehalten. Aber das Gro�hirn kann noch sehr viel mehr. Es kann das unangenehm oder gar traumatisierend Erlebte so weit verstecken, dass es keinen Zugang mehr gestattet und es dem Bewusstsein entzieht. Wir kennen diesen Mechanismus unter anderem im Zusammenhang mit der Behandlung der posttraumatischen Belastungsst�rung.

Ein traumatisches Erlebnis ist zun�chst einmal ein Schock und bleibt mit vielf�ltigen, unangenehmen Gef�hlen verbunden. Damit der Mensch damit fertig wird, muss er eine Abwehrstrategie entwickeln. Fehlt die therapeutische Aufarbeitung, was bei der Mehrzahl der im und nach dem Weltkrieg traumatisierten Menschen der Fall sein d�rfte, dann zeigen sie Intrusionen oder Konstriktionen. Was bedeutet das?

Bei einer Intrusion durchleben die Betroffenen das traumatische Ereignis erneut, wenn bestimmte Ausl�ser wie Ger�che, Ger�usche oder �hnliche Situationen vorhanden sind. Durch solche �typischen� Au�enreize sind die Betroffenen wieder im �alten Film� und empfinden die gleichen Gef�hle von Ohnmacht, Hilflosigkeit, Verzweiflung oder Angst. Da das Ganze meist unbewusste Prozesse sind, k�nnen sie sich den Grund f�r ihre Gef�hle auch gar nicht erkl�ren und also auch keine L�sungen finden. Die Erfahrungen k�nnen nicht kognitiv eingeordnet, nicht sprachlich ausgedr�ckt werden. Die Betroffenen k�nnen sich Symptome wie �bererregung, Reizbarkeit, Schlafst�rungen oder Schreckhaftigkeit nicht erkl�ren.

In der Regel werden die Betroffenen solche �Ausl�ser� meiden und bestimmte Situationen umgehen. Eine andere M�glichkeit besteht darin, Negatives auszublenden und nur Gutes zum Beispiel in Personen zu projizieren, wodurch sie zwangsl�ufig � weil kein Mensch nur gut ist und jeder auch mal verletzen kann � immer wieder neue Retraumatisierungen erleben.

Bei einer Konstriktion werden Zust�nde von emotionaler Lust- und Freudlosigkeit und Leere empfunden. Die Betroffenen wirken nahezu apathisch, wie gel�hmt. Dabei handelt es sich gewisserma�en um eine (unbewusste) Bew�ltigungsstrategie, bei der bestimmte Gef�hle gezielt abgespalten (dissoziiert) werden. Sie k�nnen gewisserma�en beim Durchleben verletzender Handlungen (z.B. einer Vergewaltigung) �neben sich stehen�. Nicht selten entwickeln die Betroffenen Schuldgef�hle und werden depressiv.

Die heute in die station�ren Einrichtungen einziehenden, alten Menschen sind die um 1930 Geborenen. Sie waren also um 1945 in dem Alter, wo M�nner noch in den Krieg ziehen mussten und Frauen oft m�nnlicher (sexualisierter) Gewalt schutzlos ausgeliefert waren. Durchschnittlich bringt etwa jede dritte Frau dieser Generation aus der Zeit 1945 bis 1947 Vergewaltigungserfahrungen mit! Diese Erfahrungen sexualisierter Gewalt waren h�chst traumatisch.

Aus der Traumaforschung wissen wir, dass unser Gehirn solche Erfahrungen soweit verdr�ngen kann, dass sie dem Bewusstsein nicht mehr zug�nglich sind, eine der F�higkeiten des Gro�hirns. Aber wir wissen auch, dass unter bestimmten Umst�nden nur geringe Ausl�ser ausreichen, um dem Ich der Person einen Strich durch die Rechnung zu machen, was sich dann in einem auff�lligen, mitunter st�rendem Verhalten zeigen kann.

Wenn nun bei einer Demenzerkrankung diese besondere F�higkeit des Gro�hirns, Erfahrungen zu verdr�ngen bzw. nicht der Erinnerung zuf�hren zu lassen, geschw�cht ist, dann erh�ht sich die Wahrscheinlichkeit, dass sich solche traumatisierenden Erfahrungen gewisserma�en Bahn brechen. Oft lassen sich Trigger (=Ausl�ser) f�r ein entsprechendes, �seltsames� Verhalten identifizieren. F�r den betroffenen Menschen selbst bleibt bei den aufkommenden Bildern dann oft unklar, ob es sich um Erinnerung oder erlebte Realit�t handelt. Erschwerend kommt hinzu, dass demenzerkrankte Menschen sich diesen Triggern kaum entziehen k�nnen und Pflegende nicht wahrnehmen, ob oder dass sie diese Bilder ausl�sen. Dieses �Wiedererinnern psychotraumatischer Erlebnisse� nennt die Psychologie auch Intrusionen.

Wenn die vielen traumatisierten Frauen und M�nner dieser Generation der um 1930 geborenen Menschen nun in die Einrichtungen kommen, dann kann es sehr wichtig sein, dass sich Pflegende �ber ihre Begegnungserfahrungen im Rahmen der pflegerischen Beziehungsgestaltung regelm��ig auszutauschen, um m�gliche Trigger zu identifizieren oder ein Verst�ndnis f�r das irritierende Verhalten vor allem demenzkranker Menschen zu bekommen.

Fazit

Oft stehen Pflegende ratlos vor dem herausforderndem Verhalten beispielsweise im Rahmen der Intimpflege, beim Essenreichen oder in der Begegnung auf n�chtlichen Fluren der Einrichtung. Gelingt es, ausl�sende Faktoren zu identifizieren, kann in der gemeinsamen Besprechung eine Vermeidungsstrategie entwickelt oder ein passgenauer und abgestimmter Handlungsplan entworfen werden.

Michael Thomsen ist seit 1998 Fachkrankenpfleger f�r Geriatrische Rehabilitation mit langj�hrigen und grundlegenden Erfahrungen und Kenntnissen im Bereich der Pflege von Menschen mit altersassoziierten Erkrankungen wie Schlaganfall und Demenz. Die Erfahrungen im direkten Kontakt mit Bewohnern und Angeh�rigen sowie die Sachzw�nge der professionellen Pflege haben ihn empf�nglich gemacht f�r kreative und pragmatische L�sungen. Seit 2010 ist er ausgebildeter Heimleiter, Dozent und Autor diverser Fachartikel rund um die Themen Pflege und Demenz. Als ausgewiesener Pflegeexperte mit Erfahrungen in der station�ren Altenhilfe legt er besonderen Wert auf der wissenschaftsbasierten Organisation von pflegerischen Dienstleistungen im Sinne einer pragmatischen Verkn�pfung von Theorie und Praxis.
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